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Aus fremden Federn


 Die Aufklärung der Innerlichkeit:
Ehrlieb Leberecht Mehrlicht

von Martin Bojda
"Pass auf jetzt! furchtbare Burschen,
dem Tanze stellt die Tugend,
und wenn ihr nicht mitkommen wollt –
tanzt uns allein die Jugend.“
Žitomír Vrba

 

Die Vyšehrader Memoria erinnert heute an den (nicht runden, dann vielleicht eckigen) Jahrestag der Geburt des zu Unrecht vergessenen Vertreters der deutschen Hochaufklärung, Ehrlieb Leberecht Mehrlicht (1. April 1738 - 29. Februar 1799). Über das Leben und Werk dieser außergewöhnlichen, aber seltsam rätselhaften Persönlichkeit gibt es wenig verlässliche Informationen, und auch neue Forschungsversuche in den historischen Bibliotheken von Gotha und Wolfenbüttel scheinen kein weiteres Licht ins Dunkel zu bringen. Da dieser radikale "Aussenseiter" zeitlebens das Programm der Aufklärung entwickelte, aber der Nivellierung der innerlichen protestantischen Frömmigkeit durch einseitigen Rationalismus ("Diesseitigkeit - Spitzfindigkeit") entgegenzuwirken suchte und in seiner Zeit eine zunehmende Profanierung des menschlichen Geistes sah, legte er den Schwerpunkt seiner pädagogischen Arbeit auf die Erneuerung des Inneren des Menschen. Gegen die aufklärerisch-rationalistische Rehabilitierung der natürlichen Welt und Erkenntnis betonte er nicht eine orthodoxe und autoritative, auch nicht wieder nur passiv-kontemplative, sondern eine reale, unspektakuläre und im Verborgenen wirkende ganzheitliche Innerlichkeit ("Allinnerlichkeit"). Er beschloss daher nicht nur, seine Ideen nicht öffentlich zu publizieren, sie nicht in Zeitschriften oder auf dem Buchmarkt (den er als gutes Werkzeug, aber zunehmend als schlechten Meister zur Kontrolle des Denkens ansah), der im Deutschland der Aufklärung so sehr florierte, einzubringen, sondern auch, sie nicht in Schulen zu lehren. Sein pädagogisches Wirken war ganz privat und individuell, sein Lebenswandel dem Vernehmen nach äußerst bescheiden, so dass er - der ohnehin als "Magus des Südens" (nämlich des deutschen Südens, in Analogie zum Königsberger Johann Georg Hamann, genannt "Magus des Nordens") bezeichnet wurde - manchmal überspitzt als "Eremit des Lichts" genannt wurde.

Was wir von Mehrlicht faktographisch wissen, sind nur Fragmente, und das auch nur durch andere erhalten. Eine genauere Rekonstruktion seines Denkens (auf der Grundlage von Aufzeichnungen anderer) wird Libuše vielleicht später vorlegen; rekapitulieren wir heute, am Jahrestag, was wir biographisch wissen. Aus den amtlichen Aufzeichnungen der betreffenden Orte wissen wir, dass Mehrlicht in der fränkischen Stadt Klar als Sohn eines Pfarrers und einer Mutter, die selbst Pfarrerstochter war, geboren wurde. Er absolvierte das Gymnasium in Erwachen, wo seine geistige Grundeinstellung geweckt und gefördert wurde, und studierte Theologie in Halle, wo er aber auch den philosophischen und schönheitsphilosophischen Vorlesungen von G. F. Meier große Aufmerksamkeit schenkte. Aus diesen Studienjahren ist ein Zweizeiler überliefert, das er in den von hiesigen Studenten herausgegebenen "Almanach der Musen" einbrachte:

"Weilt das Schöne in uns rein,
Muss es auch das Wahre sein
."

Nach seinem Studium kehrte Mehrlicht im Gegensatz zu seinem älteren Bruder, der als Hilfsfechtmeister im benachbarten Spottdorf arbeitete, nach Erwachen zurück und lebte in völliger Abgeschiedenheit der Sorge um seine Mitmenschen. Er war ein gefragter geistlicher Hirte, Helfer und Ratgeber, dessen schlichter Haushalt oft als Zufluchtsort für diejenigen diente, die seine "Seelsorge" suchten. Wir wissen, dass er die Poesie nie ganz aufgegeben hat; aber seine Gedichte wurden der Öffentlichkeit (wenn man das so sagen darf) nur dadurch bekannt, dass sie von einem seiner Schüler (Brüder, wie er zu sagen pflegte) ohne sein Wissen aufgeschrieben wurden. Im größten Umfang, in dem dies die einzige derartige Geschäftemacherei dieser Art war, tat dies der künstlerisch ambitionierte Landkantor Johann Christlieb Fülle. Seine Begeisterung für deren schlicht vorgetragene volle Einfühlung war so groß, dass er fünf oder sechs Gedichte aufschrieb (die selbst nicht erhalten sind), denen er den Sammeltitel Aus Mehrlichts Muse Blumenkranz: Lieder eines Allliebenden gab. Er nahm diese Gedichte mit auf eine Wanderschaft durch Italien und zeigte sie in Rom dem berühmten Bass Giacomo Brummini, der gerade im Begriff war, seine Heimatstadt zu verlassen und das Angebot des neapolitanischen San Carlo anzunehmen. Vor seiner Abreise hatte der kühne Sänger Mehrlichts Gedichte in Fülles schlichter, aber stimmungsvoller Vertonung in sein Abschiedskonzert aufgenommen, und nach Fülles Erinnerung trug ihr Erfolg nicht unwesentlich dazu bei, dass sich Brumminis Spitzname "Encore" fest etablierte. Der Erfolg bei der Gemahlin des Bankiers Nicolini soll so groß gewesen sein, dass über seine Folgen das Parterre des Teatro Argentina noch während des Gastspiels Lablaches tuschelte. Fülle drückte seine Dankbarkeit gegenüber dem außergewöhnlichen Sänger aus, indem er eigens für ihn ein Festlied in der Sprache Petrarcas mit dem Titel Onori ai Sonori verfasste.

Über das spätere Leben von Mehrlicht in Erwachen ist nur wenig bekannt. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zwei wesentliche, ja die wichtigsten Fakten zu nennen, von denen der erste von interner Bedeutung für Libuše ist und direkt zum zweiten führt, der zweite dasjenige, wodurch Mehrlicht vor allem im europäischen geistigen Bewusstsein geblieben ist (nämlich derjenigen, die zu diesem auch durch ihn wirklich erweckt wurden). Die zentrale Figur in beiden Kontexten ist kein Geringerer als der Fürst der deutschen Dichter (zögernd, wie es scheint, selbst von den frommeren Erwachener akzeptiert) Johann Wolfgang von Goethe. Er stand bekanntlich Frau Charlotte von Stein in der hohen Weimarer Gesellschaft sehr nahe - und durch sie kam er zu Mehrlicht, dessen nachhaltigem Einfluss ("Erleuchtung durch Mehrlicht") er dann ein Denkmal setzte. Weniger bekannt ist, dass Frau von Stein regelmäßig durch Erwachen fuhr, wenn sie einen weiter entfernten Teil ihrer Familie im nahe gelegenen Dorf Brücken (nicht zu verwechseln mit Brücken in Pfalz und anderen) besuchte. Dieser als Stein-Brücken bezeichnete Zweig, der ein ländliches, aber wohlhabendes Anwesen mit mehreren Meierhöfen und Forsten verwaltete, hatte nicht nur böhmische Wurzeln, die viel älter waren als der deutsche Zweig (větva - tetva) der Familie von Stein, sondern - wie noch wenig bekannt ist - auch Nachkommen, die dank der Vermittlung der Weimarer Hofdame die Gedankenwelt Mehrlichts kennenlernten und sie auf ähnlich unscheinbare Weise wie er an die erwachende patriotische Intelligenz Böhmens weiterzugeben versuchten. Als die berühmten Handschriften entdeckt wurden und Josef Wenzig sich von dem Grünberger den Libussa-Stoff angeeignet hat, um ihn für Meister Smetana auszuarbeiten, blieb uns in seinem oder dem von seinem opferwilligen Schüler Ervín Špindler übersetzten Libretto der Name einer Persönlichkeit bewahrt, deren Verwandtschaft mit Frau von Stein und durch sie mit Goethe und dem (beide grundlegend inspirierenden) Mehrlicht von den Historikern noch nicht ausreichend gewürdigt worden ist: den Namen unseres wertvollen Radovan od Kamena Mosta [Radovan von Stein-Brücken]!

Wie steht es aber mit dem wesentlichen Beitrag Goethes? Alle gebildeten Germanisten kennen ihn, und doch verstehen sie ihn nicht! Dieser universelle Geist widmete sich während seines langen Lebens allen möglichen Arten von Poesie und Wissenschaften, schrieb Tausende von Seiten an Versen wie naturkundlichen Abhandlungen und führte in seinem Leben einen nachdenklichen Dialog mit Persönlichkeiten wie Herder, Wieland, Schiller, Jacobi, Lavater, Hegel und sogar unserem Purkyně. Sein Geist scheint ständig in verschiedene Bereiche übergegriffen zu haben, und gelangte zugleich zur Allgemeinheit durch Entsagung. Johann Peter Eckermann hat in seinen letzten Lebensjahren viele Gespräche mit ihm geführt und diese Gespräche in einem wichtigen Buch festgehalten, das auch vollständig ins Tschechische übersetzt wurde. Was aber war das Letzte, was Goethe im Sinn und auf den Lippen hatte, was sollten seine letzten Gedanken und Worte sein? "Mehr Licht!" soll er gesagt haben. Hat er darum gebeten, oder hat er es herausgefordert? Traditionell wurden diese Worte als ein großes Vermächtnis der Aufklärung verstanden, als Aufforderung, unaufhörlich Licht zu verbreiten. Prosaischere, empirische Interpretationen besagten, dass es im Sterbezimmer des Dichters nur an Licht mangelte und er darum bat, die Vorhänge oder das Fenster zu öffnen. Tatsächlich war es nicht das, woran Goethe zum letzten Mal dachte, sondern an wen: Ja, es ging ihm um das Licht, aber nicht um irgendein Licht, sondern um das Licht des Einen, dessen Fluchtmuster bis zum letzten Augenblick nicht aufhörte, ihm wieder zu nahen (wie es die erste Strophe des Faust ausdrückt, aber in Bezug auf eine Trübe). Goethes letzte Worte waren nicht "Mehr Licht!", sondern "Mehrlicht!"

 


"Weinte eine Birke, weinte,
und der Wind die Tränen reinte;
stöhnte ein Mädchen im Stillen,
Niemand ist des Hörens willen."
Vácslav Šnajder

Das tschechische Original steht unter:
https://www.libuse-journal.com/varia/osv%C3%ADcenstv%C3%AD-niternosti-ehrlieb-leberecht-mehrlicht/