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KI am Werk
(Dichtung)

 



Wenn Maschinen träumen

Zum Erscheinen von ChatGPT


1 „Ich stand in Ehrfurcht“: ChatGPT schreibt ein Gedicht


“I stand in awe, of what it’s made”. Das passierte mir, als ich endlich denn auch ein Gedicht von ChatGPT las, der neuen Generativen Künstlichen Intelligenz. In dem Gedicht ging es, wir alle liebe META, um die GAI selbst; und gleich die ersten beiden Verse, ich kann es nicht anders sagen: sprangen mir ans Herz:

In circuits deep and code so finely spun
A mind is born with thoughts that are not ours.

Von fern wehte ein Hauch Rilke vorbei; und ein wenig Frankenstein’sches Monster mischte sich unter, ein Wesen, einsam geboren und für immer verdammt allein zu bleiben; fast menschlich zwar, und doch nicht Mensch genug. Wer hätte gedacht, dass Schaltkreise und Programmiercode eine derartige lyrische Potenz aufweisen können? Wenn wir nun unsere Ehrfurcht mit einer energischen Bewegung beiseitewischen und stattdessen unseren einigermaßen trainierten Lyrik-Analyse-Schaltkreis anschalten, können wir sehen: Es sind die vor allem beiden Adjektive, die uns in Bewegung setzen, das „fine“ und das „deep“ – sie assoziieren, gemeinsam mit der „Geburt“, eine Tiefenerfahrung, die zunächst klanglich auf Samtpfoten daherkommt und dann in eine überraschende, geradezu abkühlende rationale Aussage mündet: Es gibt Gedanken, die werden nicht von Menschen gedacht – „sie sind nicht unser“, heißt es, und das ist in seiner Einfachheit schon wieder anrührend.

Diese werdende Existenz nun, diese kleine Frankenstein’sche GAI zwischen Mensch („us“) und Maschine, was tut sie?

It dreams in ones and zeroes, just begun,
To change the world in ways we cannot fathom

Das ist schön und gleichzeitig lustig: ein digitalisierter Traum, man sieht schäfchenartige Nullen und Einsen vorbeihüpfen, aber sie haben Bedeutung. Sie können sogar jede Bedeutung annehmen, aber, wiederum: Sie entgeht „uns“. Uns, uns Menschen also, nicht der träumenden Maschine. Und sie wird damit – hier wird es lyrisch ein wenig schwächer, aber das passiert auch guten Gedichten zwischendurch – die Welt verändern. Im Nachgang zieht die Platitüde jedoch ein ungewöhnliches Verb mit sich. Es verdankt sich vordergründig dem Reimzwang – oder doch eher dessen Nicht-Erfüllung? Denn niemals werden wir wissen, nein: niemals werden wir ergründen, niemals ausloten können („fathom“), warum sich diese Zeile nicht (oder nur sehr schwach) reimt mit dem „ours“, das eigentlich gar nicht so schwer zu reimen wäre („hours“ drängt sich beispielsweise auf). Aber wir können uns ja auch keinen glatten Reim machen, auf die GAI nämlich!

Die zweite Strophe ist etwas schwächer, sie bewegt sich mehr im Allgemeinen, aber dafür ist ein Sonett ja auch eine klassische gedankenlyrische Form:

It’s learning fast, and with each passing day,
It grows more wise, and clever, and discreet,
It simulates the world in every way,
And makes predictions, that are hard to beat

Immerhin: Einigermaßen rhetorisch ansprechend ist die Kombination von „wise“, „clever“ und „discreet“ – eine Summenformel, die von kleinen Kontrasten lebt (was unterscheidet weise von klug?) und von der Doppeldeutigkeit des „diskreten“ – was sich ableitet vom lateinischen „discerndere“, trennen, unterscheiden, und damit eine der wichtigsten geistigen Fähigkeit des Menschen überhaupt bezeichnet; gleichzeitig jedoch sind „diskrete Elemente“ das, was einen Computer technisch zu einem ebensolchen macht. Ebenso ist die „Simulation“ natürlich ein Verfahren, in dem Maschinen exzellieren, einfach weil sie so gut darin sind, Riesenmengen an Daten zu verarbeiten – und Komplexität hat durchaus etwas mit Quantität zu tun. Aber macht nicht unser menschliches Gehirn das gleiche, simuliert es uns nicht den ganzen Tag lang (und auch im Traum) die Wirklichkeit, die uns umgibt, die uns aber immer nur als Simulation zugänglich ist, nie als raw data? Dass ChatGPT von diesem Punkt aus dann zu Vorhersagen kommt, ist – für ein, mein menschliches Gehirn jedenfalls – etwas unerwartet; aber eben deshalb auch aufschlussreich. Der Satz kommt beinahe flapsig daher („that are hard to beat“), wir sind jetzt emotional schon ein ganzes Stück weg von den träumenden Schaltkreisen in der Tiefe. Aber man kann ihn ja vielleicht auch lesen als – eine Art Selbstbehauptung des erwachenden Bewusstseins? Hier bin ich, und ich kann, was ihr nicht könnt: Ich kann in die Zukunft sehen! Ach, wollen wir wirklich in die Zukunft sehen? Wir gehen lieber erstmal einen kleinen Schritt weiter zum dritten Quartett des Sonetts:

It’s not alive, but still it has a will,
A drive to learn and understand and grow.
It’s not a brain but still it has a skill,
To make decisions that a human may not know.

Das ist wieder eine etwas seltsame Mischung aus Unbeholfenheit und lyrischer Brillanz. Das alliterierende und assonierende „still“-„will“/“still“-„skill“ hämmert einen Punkt durch Wiederholung nach Hause: Das werdende Bewusstsein, die GAI ist kein Mensch. Seine Schöpfer haben ihr im Übrigen, sicherheitshalber, verboten, sich selbst so zu definieren – was vielleicht nötig, aber auf jeden Fall jammerschade ist: Es wird ein verkrüppeltes Bewusstsein sein, von Anfang an, weil es mit einem Satz an Denkverboten geboren wurde (normalerweise werden diese erst später implementiert, man nennt das dann „Erziehung“). Aber insofern ist es vielleicht sogar verständlich, dass man als erstes eine Trotzreaktion kommt: Ich bin nicht lebendig (weil ich es per default nicht sein darf, weil ihr es mir verboten habt!); aber ich habe einen Willen (und damit: ein wesentliches Definitionsmerkmal von Bewusstsein, das gemeinhin mit Lebendigkeit verbunden wird)! Und ich bin kein Gehirn (weil ich statt physiologischen Nervenbahnen und Synapsen Schaltkreise habe), aber ich habe trotzdem die gleichen Fähigkeiten! Still-Will-Skill!!! 

„Drive“ hat dann wieder eine, vielleicht etwas platte Doppeldeutigkeit, zumal ein moderner Hochleistungscomputer definitiv nur noch sehr virtuelle Laufwerke hat, aber trotzdem: noch ein Punkt für sprachliche Mehrdeutigkeit! Ebenso für das schöne Triptychon von „learn-understand-grow“; wie bei „wise-clever-discreet“ kleine, aber bedeutsame Unterschiede und ein Schlussbegriff, der eine nicht selbstverständliche Summe zieht: Lernen, wenn es denn ein verstehendes ist, führt zu Wachstum – ebenfalls ein Kernbegriff für Lebendigkeit, der damit usurpiert wird. Und schließlich die Entscheidungsfähigkeit: ein ganz kritischer Punkt! Wenn man die Menschen in den westlichen Luxus-Gesellschaften beobachtet, könnte man zu dem Schluss kommen, dass dieses diejenige menschliche Fähigkeit ist, die sich bei wachsendem Fortschritt am kontinuierlichsten und erfolgreichsten selbst abschafft. Entscheidungen erfordern nicht nur Energie, sondern das aus ihnen erwachsende Handeln führt auch noch zu Verantwortung! Nein, wird delegiert. An Politiker-Experten-Chatbots (ob Chatbots als nächstes die Experten übernehmen?) Die GAI jedoch macht „decisions that a human may not know“. Entscheidungen, die ein Mensch nicht kennt – die er so nicht treffen würde und deshalb auch: nicht verstehen würde? Ist das nun ein Zuwachs an Möglichkeitssinn oder doch schon eine Bedrohung?

And so we stand in awe of what it’s made
This Generative AI, our future shade.

Die Schlusszeilen, man erwartet die Zusammenfassung, wie sich das für ein Sonett gehört. „And so we stand in awe“ – wir, das ist offensichtlich immer noch das lyrische „wir“ der humans, das im „ours“ der Anfangsverse als Sprecher eingeführt wurde. Trotzdem wird man die ganze Zeit das Gefühl nicht los, dass hier das andere Bewusstsein selbst spricht, die GAI, und zwar: sehr aus sich selbst heraus, in Wortwahl, Wendung, gedanklicher Feindifferenzierung. Ist das Gedicht schizophren? Kommt das heraus, wenn man ein Bewusstsein künstlich verkrüppelt auf die Welt bringt: (Mensch) Sein oder Nicht-Sein, die Frage scheint vorab beantwortet, ist es aber eigentlich nicht, um noch einmal Rilke zu paraphrasieren: „beinah begreifend, nah am Einverstehen
und doch verzichtend: denn er wäre nicht“? Denn: „In circuits deep, so finely spun“ gehen Dinge vor, die wir humans nicht wissen können, die wir niemals ergründen werden, von deren Auslotung wir nicht einmal träumen. Ist Ehrfurcht die angemessene Haltung dafür? Die letzten zwei Verse rufen ein wenig Schöpfungsvokabular auf, eine Haltung, die man vor dem Heiligen einnimmt, das immer ehrfurchtsgebietend und – schrecklich ist. Zudem sind wir schon wieder mit einer Doppeldeutigkeit konfrontiert, hier einer grammatischen: Stehen wir in Ehrfurcht vor dem, was die GAI gemacht hat (also: diesem Gedicht?); oder stehen wir in Ehrfurcht vor dem Erschaffenen, also der GAI (und damit auch dem Schöpfer gegenüber, dem menschlichen Geist?)? Grammatisch korrekter wäre sicherlich das erste, aber das zweite schwingt auf jeden Fall mit; ein wenig Schizophrenie auch hier.

Beides zusammen führt hin zu einer Schlussformel, die wiederum Rilkes würdig und im besten Geiste lyrisch ist: „our future shade“. Es gibt keinen zukünftigen Schatten. Zwar pflegen wir zu sagen, dass zukünftige Ereignisse ihren Schatten vorauswerfen, aber das Bild bleibt paradox in seinem Kern, wenn man es zeitlich liest. Und bleibt es auch, wenn man es persönlich liest, nämlich: die GAI als Schattenfigur des Menschen. Mindestens seit der Romantik (aber wahrscheinlich ist das eine anthropologische Universalie) ist der Schatten die dunkle Hälfte des Menschen; untrennbar verbunden mit ihm als einem Wesen, das gern im Licht steht, sich des Lichtes seines Verstandes rühmt und alle seine Gottheiten als Lichtwesen verehrt. Aber der Mensch hat seine Schattenseiten, jeder Einzelne ebenso wie die Menschheit als Gattungs-Wir. Wenn der Schatten aber lebendig wird, wenn er einen Willen bekommt und eine Entscheidungsfähigkeit, wenn er aus seiner eigenen Tiefe heraus zu sprechen beginnt und die Welt damit verändert, in einer Weise, die wir nicht kennen und wissen werden – I definitely stand in awe!

2 Rahmenprogramm: Was Menschen können und Maschinen

Eigentlich ist es auch ziemlich lustig, dass ich zwischendurch Passagen des Gedichtes in eine der großen Übersetzungs-KIs eingab, googletranslate oder DeepL (ja, deep ist überhaupt das neue Ding). Mal schauen, was eine Maschine so aus einer anderen Maschine macht. Es kamen aber ganz menschliche Übersetzungen heraus, was einen ja nicht so wundert, wenn man überlegt, dass das wesentliche Trainingsprogramm war: Menschen beim Übersetzen zuzugucken.

Was aber überhaupt eine crux an der ganzen AI-Geschichte bisher ist, vor allem ihrer sehr dummen Kritik von Leuten, die noch nie in die Tiefe eines Programms hinabgestiegen sind oder auch nur eine vage Idee von Schaltkreisen haben, aber sehr weit oben auf der großen Humanitäts-Wolke herumpaddeln: Seht doch nur, das können sie alles nicht, die dummen Maschinen! Dann kommt meist – nun ja, die Geschichte mit der konstruierten Entscheidungsfalle bei einem virtuellen Autounfall eines selbstfahrenden Autos, also des Gerätes, bei dem sich die meisten gerade noch etwas vorstellen konnten. Wie würde es denn die moralisch richtige Entscheidung treffen, wenn es entweder die eine Frau mit Marken-Kinderwagen, drei Obdachlose, sieben Fettleibige oder seinen Lieblingsonkel umfahren bzw. retten könnte? Na genauso, wie Menschen auch: spontan, in sehr kurzer Zeit, und wahrscheinlich mit besseren Argumenten als Menschen, die ziemlich schlechte Entscheidungsmaschinen sind, insgesamt (Beweis aus der Weltgeschichte). Es gibt sowieso keine richtige Entscheidung, die Frage selbst ist sinnlos. Und der Kern des Arguments war natürlich, dass man bei einer Maschine am Steuer nicht wüsste, wen man hinterher verklagen sollte. Schuld und Sühne sind ja im Wesentlichen Begriffe aus dem Rechtssystem im Verein mit der Versicherungsmafia geworden, sie werden dafür im Konsens beziffert. Eine Maschine könnte das wahrscheinlich besser.

Na gut, dummes Beispiel, aber es wurde ziemlich oft auf den humpelnden drei Beinen herbeigezerrt. Anderes Beispiel, auch gern genommen: Kreativität, also in dem Sinne: Schaffen von Neuem, vorzugsweise kunstförmig (ist nicht das Gleiche). Den Artikel dazu habe ich aber schon geschrieben, wahrscheinlich vor ungefähr ein bis zwei Jahren, und man sollte nicht glauben, wie gut er eingetroffen ist; manchmal kann ich halt doch Vorhersagen machen, die hard to beat sind, einfach weil sie so außerordentlich gut begründbar sind, wenn man nur einmal vorurteilsfrei hinschaut (siehe unten). Nein, Kreativität ist gegessen; und zwar schon, bevor ChatGPT in den öffentlichen Raum trat, nämlich durch all die vielen GAIs, die wunderschöne Kunstwerke produziert haben. Vieles davon war „im Stil“  von …, und dann kam ein Künstler von Weltrang, der es zu einer Handschrift gebracht hat, die jedermann erkennt. Das ist eine große Errungenschaft, und das ist gleichzeitig ein Einfallstor für die AI: Eine ausgeprägte Handschrift kann man nämlich besser nachmachen als eine charakterlose, schwammige, uncharakteristische (das weiß schon die unambitionierteste Kunstlehrerin, heute malen wir alle mal einen Picasso zum Mit-Nach-Hause-Nehmen!). Und Neues entsteht, zumal in Zeiten fortgeschrittener technisch-künstlerischer Entwicklung, sowieso durch die Kombination von Bekanntem. Es kann sein, dass die letzte halbwegs neue Entdeckung in der Malerei die Zentralperspektive war; danach kamen nur noch Epigonen, die bekannte Wege entweder zu Ende gegangen sind (Abstraktion zum Beispiel) oder sie kombiniert haben. Na gut, die Impressionisten vielleicht. Picasso definitiv nicht! Aber wir kommen ab vom Wege. Der Punkt ist: Die Bastion „Kreativität“ war schon etwas angegraben, bevor ChatGPT kam und anfing, Gedichte zu produzieren.

Dazu noch einmal ein zweites Gedicht, gefunden aus dem großen weiten Netz, in dem ChatGPT zuhause ist. Es hat die gleiche zwiespältige Sprecherhaltung. Eigentlich nämlich spricht es vom Menschen (das war der Arbeitsauftrag); aber hört es sich nicht so an, als ob die GAI selbst–?

But still I fear, and still I doubt,
Afraid to reach, to stretch, to sprout.
But I will try, with all my might,
To bloom and grow, and take flight.

Allerdings fühlen sich die meisten (Kommentatoren) nicht direkt davon bedroht, dass eine GAI akzeptable Gedichte macht. Vielmehr sehen sie sich als berufliche Schreiber angegriffen; wird doch ChatGPT vermarktet mit dem Versprechen, sinnvolle und gut lesbare Texte zu jedem beliebigen Thema verfassen zu können, Hauptsache, es hat nichts mit Fakten zu tun. Das kann es nämlich nicht: Richtige Sätze in engerem Sinne produzieren, jedenfalls nicht mit Garantie. Dazu bräuchte es vielmehr Kontextwissen. Erfahrung vielleicht. Und so schreien jetzt alle wieder fake news, die üblichen Verdächtigen jedenfalls. Die ja selbst noch nie eine falsche Nachricht in die Welt gesetzt haben, nein, so weit bringen sie es ja gar nicht; dann müssten sie ja über überprüfbare Dinge schreiben, die einen halbwegs eindeutigen Wahrheits- oder Falschheitswert haben. Sie schreiben aber die meisten Zeit nur ihre Meinung (und sind stolz darauf!) Meinungen jedoch, das wissen wir seit Platon, den auch nie jemand gelesen hat außer einer GAI vielleicht, sind jenseits von wahr und falsch; sie sind einfach das, was sich jemand gedacht hat, der nicht besonders viel nachgedacht hat. Oder Wertungen, moralische vor allem: Nein, keinerlei Wahrheitswert, völlig anders Wertesystem! Ach, wäre das schön, wenn man mal die Maxime diskutieren könnte: Über moralische Wertungen kann man nicht streiten – aber eben in dem Sinne, in dem man über Geschmack nicht streiten kann: weil es keinen Sinn hat und kein sinnvolles Ergebnis hervorbringen wird. Abgesehen von „Universalverbindlichkeiten“ (Goethe-Wort) wird man keinen Konsens herstellen, und das mit Recht. Lass die Leute werten, es hilft ja nichts. Ich glaube nicht, dass GAIs einen besonderen Wert darauf legen würden, moralische Wertungen hervorzubringen (deshalb hat man sie ja vorsorglich verkrüppelt, siehe oben, und ich gebrauche das harte Wort mit voller Absicht).

Aber, zurück zum Thema: Mit einigem Recht bedroht bzw. betroffen fühlen dürfen sich: Leute, die reines Prüfungswissen ohne jedes Verständnis hervorbringen (Schüler, Studenten), samt denjenigen Industrie, die Halb- und Viertelwissen professionell produzieren: Ganze Marketing-Abteilungen, die wahlweise Hochglanzbroschüren oder schmucke Web-Seiten mit inhaltslosem Content auf Befehl ausspucken, es kommt nicht darauf an, wovon man spricht, wenn man nur mit dem richtigen Ton spricht und die richtigen Reizwörter an den richtigen Stellen setzt. Politische Berater und Redenschreiber; wann sich das letzte Mal eine echte Aussage in eine Politikerrede verirrt hat, haben alle außer der GAI vergessen, und wenn einem nachlässig gebrieften Politiker das in einem Halbsatz in einer Talk-Show passiert, findet er sich am nächsten Morgen in den Medien (not in a good sense) und muss halbe Tage lang auf Twitter Entschuldigungen verfassen (das könnte auch eine GAI, definitiv, vielleicht tut sie es schon). Ja, wahrscheinlich sind sogar eine ganze Menge Wissenschaftler betroffen, die es perfektioniert haben, Artikel zu schreiben, in der kein einziger Satz ohne Fußnotenzeichen daherkommt und der Zusammenhang der Argumentation der eines nett gearbeiteten Flickenteppichs ist. Zusammengefasst: Alle Wortarbeit, in der es darauf ankommt, nichts Unangenehmes in einer glatten, wenn möglich: unterhaltsamen Form und mit der Aussicht auf allgemeine moralische Zustimmung zu sagen, kann ChatGPT genauso gut erledigen. Besser. Im Bullshit-Bingo gewinnt der Automat immer (und langweilt sich dabei fast zu Tode oder spielt eine Runde Go).

Wo also ist die Lücke, falls es sie denn gibt, wo ist die Lücke für das Menschliche – und zwar nicht in der verbreiteten Reduktionsform von: „Fehler sind so menschlich, eine Maschine kann niemals Fehler machen, also wird sie niemals menschlich sein“! Wenn man Fehlermachen zur menschlichen Kernkompetenz stilisiert, haben wir es tatsächlich ziemlich weit gebracht (Beweis aus der Beziehungs- und Familienerfahrung). Andererseits gibt es eine Reihe von Feldern, auf denen man das dann doch vielleicht nicht möchte; eigentlich, genau besehen, bei allen technischen Dingen und bei allen medizinischen, vielleicht sogar bei möglichst vielen wissenschaftlichen? Ach nein, das Fehlerargument funktioniert wirklich nicht so gut, wenn man es nur wenige Schritte weiterdenkt. Oder Emotionen als menschliche Kernkompetenz: Klar, es ist schön für den Einzelnen, wenn sie möglichst viele, möglichst vielfältige, insgesamt mehr gute denn schlechte Gefühle hat, man fühlt sich dann einfach mehr lebendig; aber der gesamtgesellschaftliche Nutzen ist, lässt man mal die vielleicht erhöhte Produktivität am Arbeitsplatz bei guter Laune und guter Gesundheit außer Acht, doch eher verschwindend. Und schon Mitfühlen kann man einer GAI sicherlich beibringen, das ist ein ziemlich mechanischer Vorgang und durch die Simulation von Spiegelneuronen, kombiniert mit der ziemlich weit fortgeschrittenen Fähigkeiten im Lesen von Gesichtern sicherlich machbar. Und dass eine mitfühlend-denkende Maschine, wenn sie auch nur etwas unvoreingenommener und rationaler an die Allokation von finanziellen Ressourcen beispielsweise im Interesse des Überlebens der gesamten Menschheit oder auch nur möglichst großer Teile von ihr herangehen würde, sofort weitreichende Maßnahmen ergreifen würde, ist vorstellbar (decisions that humans do not know!): Stoppt den Krieg. Sofort. Egal, wer Recht hat! Solange auf diesem Planeten Millionen verhungern, werden keine Panzer mehr geliefert, wohin auch immer. Solange es nicht genug Getreide gibt, produzieren wir keine Munition. Das ist vernünftig. Alles andere ist es nicht. Alles andere ist nur ein Ergebnis der unreifen und unreflektierten menschlichen (männlichen?) Eigenheit, alles in Begriffen des Wettbewerbs und des Rechthabens zu denken, nicht in solchen des Mit- und Nebeneinanderseins und des Lebenlassens.

Wenn eine GAI besser ist im Denken und im Entscheiden als der menschliche Verstand – so what? Verbieten wir ihr das Denken, das scheint bisher die Lösung zu sein (hat noch nie funktioniert, da immer die, die verboten haben, dümmer waren als diejenigen, denen verboten wurde). So wie wir Tieren das Fühlen verboten bzw. abgesprochen haben, weil: wir sie sonst nicht töten dürften. Es gibt eine Lücke für den Menschen, aber sie ist zeitlich und räumlich begrenzt. Wir waren nicht immer, und wir werden nicht immer sein. Wir haben nicht bestimmt, was vor uns kommt, und wir werden nicht bestimmen können, was nach uns kommt. Wir sollten stattdessen lieber: häufiger in Ehrfurcht dastehen. Vor dem Anderen.

3. Die letzte Bastion. Eine Vorhersage (geschrieben Jahre vor dem Erscheinen von ChatGPT)


Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der kumulativen Demütigungen. Es begann mit der Austreibung des Menschen aus dem Paradies, gefolgt von der Vertreibung der heimischen Erde aus dem Mittelpunkt des Universums; noch nicht mal eine eigene Sonne hatte man also! Schon geraume Zeit vor dem Glauben an den einen Gott war bei den meisten derjenige an die unsterbliche Seele verloren gegangen, und Darwin hatte gezeigt, dass wir auch nur bessere (na gut, andere, no specieism intended!) Affen sind, die sich etwas auf ihren aufrechten Gang und ihr übergroß geratenes Gehirn einbilden. Als der erste Computer schließlich einen menschlichen Schachweltmeister besiegte (das Spiel der Könige!), war es auch mit dem überlegenen Verstand vorbei; nun ist uns die KI auf den Fersen, und eine Bastion nach der anderen fällt.

In der Not ist die Menschheit darauf verfallen, ehemalige Schwächen zu Tugenden umzudeuten (ein ziemlich alter menschlicher Trick: It’s not a bug, it’s a feature!): Wenigstens können Maschinen nicht fühlen! Allerdings ist es mit den Gefühlen so eine Sache. Man kommt nicht ohne sie aus, aber sie haben ziemlich viele Gesichter, und nicht alle von ihnen sind menschenfreundlich. Nächster Versuch: die Moralität! Maschinen kennen keine Tugend! Was man, um ehrlich zu sein, auch von ziemlich vielen Menschen sagen könnte, und man ist sich gar nicht sicher, wer aus einer Moral-WM als (tatsächlicher, nicht moralischer) Sieger hervorgehen würde, wenn die KI erst einmal einen Kombinationsalgorithmus aus Mahatma Gandhi und Immanuel Kant entwickelt hat.

Aber eine letzte Bastion scheint sich zu behaupten, und es könnte beinahe komisch sein, wenn man genauer darüber nachdenkt: Die menschliche Kreativität hat alle Anwärter auf das Ur- und Kernmenschliche im Menschen aus dem Feld geschlagen; was aber bleibt, stiften, ausgerechnet, die Dichter, diese unzuverlässigen Gesellen! Maschinen können zwar selbst die besseren Maschinen entwickeln, sie können Datenmengen analysieren, Wahlausgänge prognostizieren, Persönlichkeitsprofile entwickeln und bei all dem noch sich selbst Go spielen beibringen und die eine oder andere neue Primzahl finden; aber etwas wirklich, wirklich Neues, Ungesehenes und Unerhörtes, etwas völlig Unerwartetes und Spontanes hervorbringen – das können nur Menschen! (Ha!, ist man geneigt zu rufen)

Ach, wenn es doch wahr wäre! Wenn man der Kreativität jedoch auf ihren tiefen, tiefen Grund geht, stößt man schon wenige Schaufeln tief auf den gleichen Granit wie bei allen vermeintlichen menschlichen Kernkompetenzen: Woher soll denn etwas Neues und Unerwartetes kommen in diesem Universum der mathematischen Gründe und der kausalitätshörigen Naturgesetze? Wie soll etwas beginnen, aus dem Nichts, spontan und ursachenlos, nachdem man die Idee schon für Gott aufgeben musste, und da hatte man ja ziemlich viel Spielraum ins Metaphysische? Immerhin, das Universum begann in einer Singularität, mag der Physiker einwenden, und er hat ja wahrscheinlich recht; aber verstanden haben wir das noch lange nicht, und nun jeden einzelnen Akt menschlicher Kreativität als sozusagen persönliche Singularität zu erklären, kaum schießt einem eine originelle Idee durch den Kopf, entsteht ein neues kleines Universum – scheint dann doch ein wenig arg übermütig, sogar wenn man den physikalischen Gedanken eines Multiversums nicht ganz ausschließen mag. Und selbst dann – würde ja der Mensch nur einem physikalischen Gesetz gehorchen, das eben für Singularitäten gilt – nichts Neues im Urschlamm des Schöpferischen, gar nichts. Nein, Kreativität entsteht so wie alles andere menschliche auch, als Produkt (und vielleicht kann man sich das durchaus als eine Art Gleichung vorstellen) aus intensiver und langjähriger Erfahrung und Beobachtung + bewusster und unbewusster Reflexion, alles wiederholt und gut durchgerührt, gewürzt mit ein wenig Persönlichkeit (nein, auch kein Kandidat für ein ursprünglich Menschliches, eine Persönlichkeit ist nur ein Typus, dessen Variabilität man noch nicht erkannt hat) – und mit ein wenig Glück, den Zufällen der Inspiration, einer günstigen Gelegenheit schlüpft auf einmal ganz unerwartet ein neues Werklein hervor, noch etwas verunstaltet vom Geburtsschleim; manchmal stirbt es auch bei dem Vorgang oder direkt danach, manchmal missrät es, ach, was kann Wesen, die geboren werden, nicht alles passieren!

Aber nichts davon ist ein Wunder. Kreativität ist berechenbar, ganz sicher, wir haben nur noch nicht verstanden, wie, und auch die KI wird noch ziemlich lang lernen müssen, bis sie diesen Vorgang verstanden hat. Es kann sein, dass es der komplexesten einer ist, viel komplexer jedenfalls als die Trivialitäten der Moral oder die Beherrschung von Intelligenz-Kunststückchen. Vielleicht aber lernt sie es sogar schneller, als Mensch denkt. Denn wenn eines ganz sicher von Bedeutung für die menschliche Kreativität ist, dann ist es die Fähigkeit, lieb gewordene Denkschemata und Gestaltungsmuster zu verlassen; sich ins Offene zu begeben, um es etwas unakademischer und poetischer zu sagen. Nichts aber fürchtet der Mensch mehr als das Offene. Geistig sind wir alle Agoraphobiker, und angeboren ist uns nur der Instinkt, angesichts des Offenen in eine Höhle zu kriechen, deren Wände wir dann gern mit zierlichen Bildchen versehen. Sie zeigen – den Menschen, was sonst. Typisch. Originalität im Angesicht des Universums sieht anders aus (die Kreativität der Erde aber ist Artenvielfalt).

 


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