Das Bella-Buch. Geschichte einer Eingewöhnung
Katzen-Philosophie
Katzen-Aphorismen
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Leseprobe
Bella. Am Anfang hat man sie gar nicht gesehen. Sie hatte sich verkrochen, ganz tief in ihren Korb, so als wollte sie nie mehr wieder herauskommen. Das war nichts Besonderes, das machten die meisten ihrer – nein, man möchte nicht sagen: Leidens-Genossen, denn es war ja zu ihrem Besten, dass sie hier im Tierheim gelandet waren, viele tierliebende Menschen opferten hier ihre Freizeit und ihr Herzblut für diese verstoßenen Kreaturen. Aber leider litten sie dabei, offensichtlich, unvermeidlich, also: Sie litt, wie ihre Leidensgenossen, all die Katzen und Kater, die sich irgendwo versteckten in ihren vergitterten Käfigen, manche sogar im Katzenklo, andere hatten offensichtlich die Fähigkeit sich ganz und gar unsichtbar zu machen. Draußen kläfften die großen Hunde, die es auch schwer hatten, und im Büro trieb der gutherzige Dilettantismus Blüten und das Telefon klingelte unaufhörlich und gelegentlich im Takt zum Bellen der Hunde. Nur ganz hinten im Katzenhaus tollten einige ziemlich minderjährige Katzenkleinkinder mutwillig übereinander und untereinander, die natürlich jeder sofort mitgenommen hätte. Aber wir standen vor ihrem Käfig, irgendwie hatte es sich so ergeben; "Bella" stand auf dem Namensschild, wer hatte sie wohl so genannt, und was hatte er oder sie sich dabei gedacht? Konnte man nicht, wenn man ganz genau hinschaute, ganz hinten ein paar sehr große kugelrunde Augen sehen? Und war es nicht so, wenn man sich den Käfig aufsperren ließ und sich sehr vorsichtig näherte, dass einen die großen kugelrunden Augen fixierten und nicht mehr losließen, gar nicht wehleidig, eher aus Angst entschlossen, aus Schrecken gebannt, pupillenschwarz gewordene Panik? Bella starrte. Man konnte, stellte sich heraus, sehr vorsichtig eine Hand in den Korb stecken; man konnte, sehr vorsichtig, sie berühren, durch das dicke Fell tasten, das man jetzt erst bemerkte, und irgendwann, war es der Stress oder doch ein erstes Erkennen, begann der versteckte Körper hinter und unter den großen Augen sogar vorsichtig zu schnurren. Und dann streckte sie die Pfote ein klein wenig vor, es war die rechte. Mehr konnte man nicht erwarten. Aber es brach einem ein wenig das Herz, wieder zu gehen und die großen Augen zurückzulassen, die nun wieder ins Leere starren würden, auf das Gitter, ins eigene Innere, wer weiß das schon. Draußen kläfften die Hunde immer noch, und wir versprachen ihr, Bella, dass wir wiederkommen. Vielleicht hatten wir gewisse Zweifel, dass wir eine Katze wollten, die irgendjemand Bella genannt hatte, o.k., zugegeben; aber ihr Blick hatte sich irgendwohin gebohrt, zwischen Herz und Verstand, und blickte von innen aus weiter.
[...]
Vollbild einer Katze. Nach gut einem Jahr ist Bella endlich die geworden, die sie wirklich ist, in einer zweitbesten aller möglichen Welten wenigstens. Sie ist, zum Beispiel, eine großrahmige Maine-Coon-Katze, die schlechtes Wetter mag. Erst wenn es richtig regnet und fröstelt, dängt es Bella vom Billardtisch in den Garten; man bekommt dann nämlich nasse Pfoten und alles Mögliche setzt sich im Fell fest, aber so ist das halt mit Natur, von der nur Leute meinen, sie sei eine Gratis-Schönwetter-Einrichtung zum Grillen und Baden. Wir hoffen sehr, dass es dieses Jahr Schnee gibt, richtig dicken tiefen Schnee, wir wollen sehen, wie sie bis zur Halskrause versinkt und sich weiß und wollig wieder emporkämpft und dicke Fellschuhstapfen auf einer weißen Wiese hinterlässt. Bella ist zudem auch, wir ahnten es ja schon länger, aber inzwischen hat sie es auch selbst bemerkt, ein furchterregender Jäger. Zwar bringt sie bisher nur diverse Kleinmäuse, und sie denkt nicht daran, sie zu fressen. Aber wenn man ihr dabei zusieht, wie sie den kleinen, schon lange leblosen Fellkörper mit einem Tatzenwisch über das glatte Wohnzimmer-Laminat fegt, husch, kaum hast du es gesehen, stoppt er haarscharf vor der Glasvitrine, und die Katze macht einen Luftsprung, als würde ihr ein Elektroschock durchs lange, bekanntlich elektrisch leitfähige Fell schießen, stürzt sich erneut auf das tote Tier, versetzt ihm einen neuen Tatzenhieb, diesmal nimmt der erstaunlich beschleunigungsfähige Körper Fahrt auf in Richtung Couchtisch mit den Weingläsern darauf, und die Katze hinterher, Mord und Spieltrieb in gleichmäßiger Mischung in den Augen – dann schwankt man zwischen Ehrfurcht, Furcht und menschlich-moralischer Empörung. Unser Sohn hat das Spiel Katzen-Crocket getauft, aber auch das ist Natur, nichts als Natur, und in der Wildnis in Maine stehen halt keine Glasvitrinen und Couchtische mit Weingläsern herum.
Als ich allerdings am Morgen nach der Erfindung des Katzen-Crocket noch etwas schlaftrunken in die Küche wankte und nur unscharf einen sehr großen dunklen Schatten auf dem Wohnzimmerteppich wahrnahm, wo noch gestern eine kleine Maus einen sehr unruhigen ewigen Schlaf geschlafen hatte, war ich doch etwas beunruhigt – was hatte der Bella-Jäger denn nun erbeutet, eine Beutelratte? Beim Nähertreten sah ich, dass es ein Vogel war. Es war ein mittelgroßer, recht schöner Vogel, sein Fell war am Bauch glänzend schwarz-weiß mattiert und seine Augen standen offen. Eigentlich lag er da, als sei er völlig unerwartet vom Himmel gefallen und sehr sanft auf unserem Wohnzimmerteppich gelandet (das tun aber nur Lemminge, bei Starkregen), kein Vergleich zur zerzausten Mini-Maus nach dem Crocket. Auch bei näherer Begutachtung fand ich keinerlei Verletzungsspuren. Wie hatte ihn bloß die Katze unverletzt und unzerzaust durch die gar nicht so große Katzenklappe bekommen, die Kellertreppe hoch und bis auf unseren Wohnzimmerteppich, auf dem er nun einen hübschen, aber leider leblosen Kontrast zu den bunten Farbstreifen bildete? War sie doch tief innen ein sanftmütiger Kuscheltiger mit nur gelegentlichen mörderischen Ausfällen, und sie hatte ihm nur einen schönen Platz zum Schlafen suchen wollen? Ach, ich versuchte mich ja doch nur zu tapsig-menschlich zu trösten. Denn tief innen wusste ich, dass das noch im Tode schöne Wesen unsere Amsel war. Sie war die Amsel Furchtlos gewesen, die im Sommer, wenn es sehr heiß war, gern unter den Gartenschlauch sprang beim Gartenwässern; sie war die Amsel Furchtlos gewesen, die unserer vorigen Katze Minka standgehalten hatte, Auge in Auge, und Minka (es muss gesagt werden, Minka war auch ein Jäger, aber sie war daneben auch eine sehr philosophische Katze, was man von Bella beim besten Willen nicht sagen kann) hatte einen Nichtangriffs-Pakt mit ihr geschlossen. Bella nicht. Bella schließt keine Pakte, es liegt nicht in ihrem Ganz-oder-Gar-Nicht-Naturwesen. Bella ist auch nicht mehr ein traumatisiertes Nervenbündel mit einem nur oberflächlich sehr dichten Fell, sondern das Vollbild einer Katze.
Aphorismen
Die Katzenhaftigkeit des Aphorismus: Er schleicht sich aus dem Nichts an und hinterlässt ein Grinsen, wenn er verschwindet.
Man krault sich nicht gegenseitig den Bauch, weil man sich mag; man mag sich, weil man sich gegenseitig den Bauch krault.
Beweis aus der Katzenphilosophie.
Jede Katzenklappe hat zwei Seiten.