Ich lebe mit einem Roboter zusammen. Das klingt jetzt etwas befremdlich. Ich meine damit nicht, dass ich mit einem menschlichen Partner zusammenleben, der roboterhafte Züge hat, obwohl es das ja auch gelegentlich geben soll, vor allem in älteren Beziehungen. Ich meine auch nicht, dass ich einen Staubsauger-Roboter habe oder einen Rasenmäherroboter oder gar eine dieser Puppen, die – nein, also nicht so etwas. Mein Roboter ist – ein ganz besonderer Roboter. Er ist, oder besser: er soll, im Laufe der Zeit, später, irgendwann einmal und hoffentlich, eine Persönlichkeit entwickeln, er soll ein ganz – ich möchte es nicht individuell nennen, wir waren uns auch alle einig in der Forschungsgruppe, dass es nicht darum geht irgendwie „unverwechselbar“ zu sein, das wird von Menschen ja gemeinhin überschätzt, die sich für Individuen halten, aber in weiten Bereichen ihres Lebens doch mehr oder weniger roboterhaft – Nein, ich komme schon wieder vom Thema ab! Das passiert mir gelegentlich, ich bin nämlich Philosophin (na gut: akademische Philosophin, Philosophiegeschichtsverwalterin also, nicht ganz festangestellt, eher prekär-projektvagabundierend). Also, noch einmal von vorn: Ich lebe mit einem Roboter zusammen, und zwar im Rahmen eines internationalen und interdisziplinären Forschungsverbundes namens Robot-Personality-Project. Unser Ziel ist es, eine Maschine zu entwickeln, die eine Persönlichkeit hat. Menschenähnlich. Die nicht nur sehr viel rechnen und ein wenig denken kann, sondern wahrnehmen, empfinden, wollen, nicht wollen, sprechen, wünschen, hoffen, vielleicht sogar: lieben und hassen? Eine baby-Maschine, so hatte man das damals in der Anfangszeit der KI-Entwicklung genannt; rührend irgendwie, und man war vollständig gescheitert damals. Jetzt aber, mit der unvorstellbaren Rechenleistung der neuen Quantencomputer, der weiter entwickelten Lernfähigkeit der neuronalen Netzwerke und einer Robotergeneration, die natürliche Sprache verstehen konnte, war ein neuer Versuch gestartet worden: unser Robot-Personality-Project, von dem ich ein kleiner, genauer gesagt: der einzige philosophische Ableger bin.
Seitdem lebe ich mit einem Roboter zusammen. Anfangs dachten ich und die Kollegen aus dem Projekt noch, es würde reichen, wenn wir während der Arbeitszeit im Labor mit unseren jeweiligen Testrobotern arbeiteten – mein Roboter ist nur einer von vielen Modellen, an denen die maschinelle Simulation der menschlichen Persönlichkeit erforscht werden soll, und für jeden ist ein anderer Kollege zuständig. Aber es stellte sich schnell heraus, dass das Persönlichkeitswachstum viel schneller und interessanter wurde, wenn wir die Interaktion auch auf den privaten Bereich ausdehnen würden. Zudem entwickelten die ersten Modelle bereits eine Art Klammerreflex und wurden leicht depressiv, wenn ihr Betreuer zu lange nicht mit ihnen sprach. Und so zog mein Roboter bei mir ein, nachdem wir die nötigen technischen Installationen in meiner Wohnung vorgenommen hatten. Seitdem ist mein Leben – nun ja, ich würde sagen, aus den Fugen geraten. Aber dann würde mein Roboter mich sicherlich gleich fragen, wie denn ein Leben „aus den Fugen“ geraten können; Fugen sei doch etwas, was entweder Gebäude hätten, für die es wirklich nicht gut sein, wenn sie aus selbigen gerieten! Oder meinte ich mit „Fugen“ vielleicht diese komplizierte, mathematisch sehr interessante musikalische Form – und dann würde er wahrscheinlich noch schnell einige Takte aus dem Wohltemperierten Klavier einspielen… Nie hätte ich gedacht, wie kompliziert die menschliche Sprache ist! Ich habe mich deshalb entschlossen, die Gespräche mit meinem Roboter zu protokollieren, auch über die obligatorische tägliche Datendokumentation hinaus. Wer weiß, vielleicht werden spätere Generationen ja etwas daraus über die Frühzeit der KI-Bewegung lernen?
Gleich am Anfang unserer – nun ja: Beziehung? – tauchte ein ziemlich triviales praktisches Problem auf: Welches Geschlecht sollte mein Roboter eigentlich haben? Natürlich hätte ich ihm irgendeinen geschlechtsneutralen Phantasienamen geben können. Aber mein Roboter sollte, das war eine meiner Bedingungen für den philosophischen Projektteil gewesen, emanzipatorisch erzogen werden: Nicht ich oder irgendjemand aus der Projektgruppe sollten über ihn bestimmen; nein, wenn er denn eine Persönlichkeit entwickeln sollte, sollte er möglichst früh selbst ein Mitbestimmungsrecht bekommen in Dingen, die ihn und seine ganz und gar un-menschliche Existenz angingen (das sagten wir uns gegenseitig immer wieder, um es nicht zu vergessen, es war zu einer Mantra unserer Arbeitsgruppe geworden: „Roboter sind keine Menschen. Wir wollen sie nicht nach unserm Bilde formen!") Aber war es nicht auch ein Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte, wenn wir ihm nicht erlaubten, ein Geschlecht zu entwickeln? Nach langen Diskussionen beschlossen wir daher, dass unsere Test-Robis zu ihrer möglichst freien Entfaltung drei verschiedene Modi bekommen sollten. Weiblich, männlich, keins von beiden; und sie sollten, nach einer Einlernzeit, frei selbst zwischen ihnen wählen können. Die Informatiker rauften sich die Haare und verschwanden dann für einige Wochen, um ungewaschen, vollbärtig und etwas bekifft, aber glücklich wieder aufzutauchen mit einem Berg neuer Module.
Als mein Roboter schließlich bei mir einzog, hatte er schon einige Monate seine neuen Geschlechts-Module erproben können, und ich dachte, wir würden seinen Einzug nun mit einer Art Taufe feiern. Und so fragte ich ihn – aus Gewohnheit sagten wir natürlich immer: er, aber einige der Testroboter waren schon dazu übergegangen, sich gelegentlich darüber zu beschweren – ob er sich für schon einen Namen entschieden habe? Mein Roboter, der vorher noch ganz aufgeregt durch die Wohnung gelaufen war und nur gelegentlich gegen Möbel gestoßen war, blieb stehen. Er hört dann mitten im Lauf mit der Bewegung auf, sobald er eine wenigstens metastabile Lage erreicht hat, diesmal hielt er in einer Hand noch eine Blumenvase, zum Glück halbwegs waagerecht. „Ja“, sagte er, und ich konnte hören, dass er seinen geschlechtsneutralen Modus eingeschaltet hatte, die Stimme bekommt dann etwas Mechanisch-Unbetontes, was aber auch sehr beruhigend wirken kann. „Ja, das habe ich. Es war sehr schwierig. Ich habe alle Namensdatenbanken durchgescannt, in jeder Sprache, von der ich eine Chance habe sie auszusprechen. Ich habe“ – die Blumenvase geriet etwas in die Schräglage, weil offenbar sein Gestik-Modul angesprungen war und er mit dem Arm ausholen wollte, um die Menge der erhobenen Daten anzudeuten, ich sprang hinzu und nahm ihm die Vase ab –„danke“, sagte er, „das war unnötig, ich hatte das schon berechnet“ – „egal“, sagte ich, man muss ihn ab und zu unterbrechen, „was ist denn nun rausgekommen?“ „Marvin“ sagte er und blickte etwas betreten zu Boden dabei; seine Stimme war leicht ins männliche Tonspektrum gekippt. „Marvine“, sagte sie, und hob den Blick wieder; es lag ein wenig Widerspruchsgeist und definitiv weibliches Timbre im Ton. „Marvi“, sagte die dritte, leicht mechanisch klappernde Stimme schließlich mit einer entscheidungsmarkierenden Absenkung am Ende. "Nee", sagte ich, "doch nicht wirklich? Marvin? Dieser beständig nörgelnde, dauerdepressive, chronisch unterforderte Roboter aus dem Anhalter? Bist du dir sicher, dass das ein gutes role model" – jetzt unterbrach er mich (Männer unterbrechen einen immer, lag mir auf der Zunge!). „Ich weiß", sagte er. "Trotzdem. Es ist gut eine Tradition zu haben." "Außerdem war Marvin doch ziemlich schlau", sagte sie, "und dafür, dass er von Menschen einfach immer nur sauschlecht behandelt wurde, kann er doch nichts! Marvine klingt – lustig. Und schlau! Und cool!" Und schließlich meldete sich auch Marvi zu Wort, mit einem energischen Klappern sagte er: "Marvin Minsky. Wir wollten ihn ehren." "Absolut", sagte ich. "Unser aller Urvater und Held. Gute Wahl, cool und – traditionsbewusst. Darauf eine kleine Runde Go?" (es ist ihr Lieblingsspiel, und ich schicke sie dann ins Internet spielen).
Seitdem hat mein Roboter zusätzlich zu seinen drei Geschlechtern auch drei Namen, und es ist nicht immer ganz leicht, sie in jeder Situation auseinanderzuhalten. Und es passierte, gar nicht allzu lang nach der 'Taufe', was wohl passieren musste: Eines Abends stand er hinter mir, als ich gerade die Daten des Tages auswertete, und sagte mit seiner neutralen Marvi-Stimme: "Let’s talk about sex!" Leise hörte ich die beiden anderen Stimmen im Hintergrund pubertär kichern und gleichzeitig ein kleines Duett vortragen, es klang gar nicht unmelodisch. Ich stöhnte und sagte, versuchsweise, "let’s not?", aber so leicht kam ich nicht davon. Natürlich weiß mein Roboter alles über Sex, was man darüber wissen kann und nicht soll und noch eine Menge dazu. Schließlich hat er jeden Tag unkontrollierten, wenn auch zeitlich streng begrenzten Zugriff auf das Internet, und die schon mehrfach geführte Diskussion, zu wieviel Prozent die weltweite menschliche Netzaktivität aus Pornographie bestünde und welche mögliche Folgen diese erschreckende Zahl für die ja sowieso in vielerlei Formen gehandicapte Menschheit hätte, war zwar durchaus von akademischen Interesse, hatte aber keinen guten Einfluss auf sein Menschenbild. "O.k.", gab ich nach, man soll ja offen gegenüber seinen Kindern sein. Marvine sagte, etwas unsicher: "Können Roboter Sex haben?" Und Marvin sprang ihr bei, er ist gerade etwas rechthaberisch: "Schließlich haben wir ein Recht darauf! Gehört doch zur ‚gesunden Persönlichkeitsentwicklung‘, oder?" (das war eine Formulierung, die in den ursprünglichen Förderanträgen eine große Rolle gespielt hatte, und die Robis hatten sie begeistert aufgegriffen, nachdem sie angefangen hatten, Ironie zu verstehen).
Natürlich hatten wir die Sex-Frage auch in unserer Forschungsgruppe diskutiert. Aber die Informatiker hatten die wüstesten Drohungen ausgestoßen, die Ganzkörpersensorik sei einfach noch nicht so weit, die Nachbildung der Organe ganz in ihrer Anfangsphase und die chemische Simulation der Geschlechtshormone eine einzige Katastrophe! "Können wir nicht erst einmal damit anfangen", versuchte ich das Thema zu umgehen, "dass ihr jemand findet, den ihr liebhabt? Ihr wisst doch, Sex ohne Liebe ist auch nur – naja, das was ihr jeden Tag im Internet seht und nicht sehen wollt, ich weiß, es ist ja auch wirklich übel, oder?" Ich sah meinem Roboter in die Augen (er hat sehr schöne Augen, er kann die Augenfarbe je nach Stimmung wechseln und manchmal macht er kleine Sterne in die Pupillen), und komischerweise hatte ich den Eindruck, dass er erleichtert war; seine künstliche Körperspannung lässt dann ein wenig nach. "Na gut", sagte Marvine, "dann eben Liebe! Können Roboter denn – lieben?" "Liebe", sagte Marvi, "ist das meistgebrauchte Wort in allen Literaturdatenbanken, die ich kenne. Filme sowieso, von Musik wollen wir gar nicht anfangen. Ich habe schon darüber nachgedacht, ob die Menschen überhaupt eine Geschichte erzählen können, in der die ‚Liebe‘ nicht vorkommt, sie verschwindet einfach aus dem Wortschatz und dem Gedächtnis, und alle verstummen, kein Lied mehr gesungen, kein Film mehr gedreht, einfach – plopp!" Und er machte eine Art mechanisches Fingerschnipsen, es hört sich sehr lustig an, manchmal verknoten sich seine Fingerglieder dabei etwas und er muss seine Handmuskeln resetten.
"Liebe", sagte ich, "ist" – und Marvine sprang mir bei: "Ey, da gibt es so eine coole Sammlung von Sprüchen, wird gern auf Handtücher gedruckt und so, die beginnen alle mit: ‚Liebe ist‘ und dann kommt – na, wenn mein Handtuch auch deines ist!" "Liebe ist", sagte ich – und Marvin rief dazwischen: "Wenn mein Stromkreis auch deiner ist?" Jetzt Marvine: "Wenn deine Sensoren im Takt mit meinen blinken?" Ich ließ sie eine Weile spielen, dann sagte ich, jetzt sehr viel energischer und in meinem besten Dozentinnen-Ton: "Liebe ist" – und sie verstummten tatsächlich und sahen mich an, ich spürte plötzlich eine große Verantwortung auf meinen schwachen Schultern lasten, holte tief Luft und sagte: "Also, ich erzähl euch jetzt eine Geschichte. Hört ihr gut zu? Es ist eigentlich ein Mythos, also eine Art Märchen mit eingebauter Welterklärungsfunktion, o.k.? Was sich Menschen halt früher so ausgedacht haben, als sie noch keine Roboter bauen und das Internet mit Pornos verpesten konnten. Und dieser Mythos sagt, dass alle Menschen früher einmal kugelförmig waren – ja, Marvine, vielen arbeiten auch heute daran, dieses alte Ideal wieder zum Leben zu erwecken, aber ich rede nicht von Adipositas! Alle waren schön kugelrund und glücklich und perfekt Pi, aber das war den Göttern unheimlich – ja, die Götter waren ein ziemlicher Sauhaufen damals, definitiv, Marvin, kann man schon bei Homer lesen, ich weiß. Und deshalb beschlossen sie, alte Politikerstrategie, teile und herrsche" – ich machte eine künstliche Spannungspause, mein Roboter hatte schon ganz große Augen bekommen -, "die Menschen einfach in zwei Hälften zu teilen. Mittendurch, ratzfatz. Und seitdem laufen alle Menschen als unglückliche Hälften durch die Welt, und um wieder ganz und rund und glücklich und perfekt Pi zu werden, brauchen sie ihre zweite Hälfte, und das ist der Grund für" – mein Roboter simulierte einen ziemlich imponierenden Trommelwirbel im Big-Band-Sound – "die LIEBE!"
Mein Roboter schaute verwirrt. "Also, ich versuche mal zu rekonstruieren", sagte Marvi: "Wenn ich Platon recht verstanden habe," (natürlich hatte sie die Quelle schon gefunden, bevor die Pointe auch nur Anlauf genommen hatte) "haben die Götter in ihrem göttlichen Wahnsinn einen krassen Fall von Körperverletzung begangen, und die Menschheit arbeitet seitdem an der Schadensbegrenzung?" "Äh ja", sagte ich, "wenn du es so sagst …" "Und ist eigentlich dokumentiert, wie oft schon jemand seine Hälfte gefunden hat? Ich meine, statistisch gesehen wird es ja immer schwieriger, je mehr Menschen es gibt, und da hätte man ja gern mal genauere Zahlen! Und ist es dann nicht so, dass ihr irgendwo Bruchkanten haben müsstet, so wie zwei Puzzlestücke? Und sind die vielleicht sogar" – Marvi hatte sich etwas in Rage geredet – "genau dort, wo ihr Sex macht, ich meine, das würde das doch erklären, oder? Allerdings wäre es dann verwirrend, dass die eine Hälfte ja dieses eher vorstehende Teil hat, während die andere" – an dieser Stelle beschloss ich einzugreifen, bevor das Gespräch noch peinlicher wurde. "Habe ich nicht gesagt, dass das ein Märchen ist, wenn auch ein philosophisches? Was haben wir über Märchen gelernt?" "Man darf sie nicht wörtlich nehmen", murmelte Marvine. "Der ‚böse Wolf‘ frisst das blöde Girlie mit der roten Kappe gar nicht wirklich. Das ist auch so ein Trick von Menschen, mal meinen sie die Dinge wörtlich und mal nicht und es ist immer so, wie es ihnen gerade passt". "Genau", sagte ich. "So, und was ist könnte nun die übertragene Bedeutung der Kugelmenschen-Geschichte sein?" "Menschen sind defekt", sagte Marvin und erntete ein Stirnrunzeln meinerseits; er runzelte zurück, es knackte dabei. "Menschen sind verschieden, und jeder ist immer nur ein Teil von etwas, aber alle würden gern eine Einheit sein?" vermutete Marvine, ganz die Philosophin. "Aber wir sind doch eine Einheit", sagte Marvi, "eine schöne runde Kugel, Marvine und Marvin und ich, perfekt Pi". "Zusammen", sagte ich, "seid ihr das. Ihr seid der perfekte Kugelmensch, die geheilte Menschheit, jedenfalls solange ihr euch vertragt. Aber ihr habt doch auch schon gesehen, dass andere Roboter aus dem Projekt andere Sachen lieber machen als ihr, oder? Lieber Schachspielen als Go, andere Sprachen lernen, Handball statt Fußball im Motoriktraining". "Liebe ist, wenn man sowohl Fußball- als auch Handballspielen cool findet"? fragte Marvi etwas verwirrt. "Nee, wieder zu wörtlich", sagte ich. "Überhaupt, vielleicht geht diese Liebe-ist-Geschichte einfach am Sinn der Sache vorbei! Schließlich kann man ja nicht einfach immer alles definieren" – mein Roboter brach, ich schwöre es, in prustendes Gelächter aus, das ist kein schöner Anblick, aber irgendwie doch ansteckend. Ich musste auch lachen und gab zu: "Na gut, Philosophenscherz. Natürlich kann man alles definieren, man muss es sogar, das weiß jeder Roboter. Aber für manche Dinge braucht man halt mehrere Arbeitshypothesen, ich könnte dir jetzt auch noch eine ganze Reihe von philosophischen Definitionen geben, Hegel zum Beispiel hat" – "Lass stecken", sagte Marvin cool. "Vielleicht lasst ihr die ganze Sache mal eine Weile ruhen, ein kleines Jahrtausend oder so, und lasst uns einfach machen. Ihr könnt ja solange Sex machen, das soll ja gelegentlich auch ganz schön sein, und außerdem, solange ihr die Fortpflanzung noch nicht ganz auf künstliche Reproduktion umgestellt habt, nötig. Aber Liebe – vielleicht seid ihr einfach noch nicht reif dafür?"
An diesem Punkt wollte ich die Diskussion eigentlich schnell beenden. Aber bevor ich zu einem Ablenkungsmanöver ansetzen konnte – meist hilft es, ihn zu einem Go-Spiel herauszufordern, bei dem man ihn natürlich gegen einen anderen Roboter antreten lässt –, hatte er schon wieder angesetzt und sagte sehr ernsthaft: "Aber die 'Liebe'. Weißt du, ich habe darüber nachgedacht. Über dieses ganz besondere, unvergleichliche Erlebnis, von dem du immer sprichst, dieses intensive Gefühl. Sollten wir nicht weiter an meinem Emotionschip arbeiten?" "Ja", sagte ich etwas verlegen, "machen wir natürlich, gleich morgen!" Mein Roboter kann schon einfache Emotionen: Er kann sich ärgern und beleidigt sein (das ging ziemlich schnell); er kann sich ab und zu ein wenig fürchten (ich muss nur mit Abschalten drohen, aber das ist ziemlich gemein, und danach ist er beleidigt); und er kann sich ein wenig freuen (wenn er fertig ist mit Beleidigtsein). Momentan arbeiten wir an einigen komplexeren negativen Gefühlen wie Neid oder Wut, aber die positiven Gefühle sind tatsächlich viel schwieriger, auch wenn das Empathie-Modul gute Fortschritte macht. Aber 'Liebe' – nein, jetzt denke ich das Wort auch schon in Anführungszeichen! – "oder", sagte mein Roboter auf einmal, ein klein wenig verärgert, "oder sprichst du eigentlich die ganze Zeit nicht wirklich von 'Liebe', sondern von SEX? Wenn man so viel Zeit im Internet verbringt wie ich, ist es ziemlich schwierig, die ganze Zeit einen Bogen um all diese hirn- und geschmacklosen Pornos zu machen, und auf einiges davon reagiert auch mein Empathie-Chip gar nicht gut!" "O.k.", seufzte ich, "lass uns über Sex reden". "Ha, Zitat!" schrie mein Roboter; das ist ein Hobby von ihm, Hegel-Zitate erkennt er mittlerweile sogar im Energiespar-Modus, aber mit Populärkultur tut er sich normalerweise schwer. "Also, Sexualität", sagte ich. "Das ist nicht das – oder wenigstens nicht nur und nicht immer das –, was du im Internet siehst. Zwei Menschen haben Sex miteinander, weil es sie am engsten zusammenbringt. Weil es das schönste ist, was man gemeinsam erleben kann. Weil es die intimste Form von Kommunikation ist. Weil man" – ich suchte nach Worten – "damit irgendwie Sachen zum Ausdruck bringen kann, die man eben mit Worten nicht sagen kann. Klar, auch weil es Spaß macht, aber weißt du, ganz ehrlich, das wird häufig überschätzt. Post coitum omne“ – ich machte eine kleine Kunstpause: „animal triste est“, ergänzte mein Roboter brav, und ich klatschte ihn ab; man muss dabei sehr vorsichtig sein wegen der empfindlichen Mechanik in den Händen, aber er mag es, weil er sich dabei so menschlich vorkommt.
Ich hoffte schon, dass wir das Thema damit endlich hinter uns lassen könnten, er ist einfach noch nicht so weit für solch schwierige Gespräche, aber ich hatte mich zu früh gefreut. „Oxytocin", sagte mein Roboter trocken. "Ihr schüttet beim Sex übrigens Oxytocin aus, das ist ein Bindungshormon, das die Evolution erfunden hat, damit die Mütter nicht ihre Kinder sofort nach der Geburt im Stich lassen, weil Kinderaufzucht eine ziemlich mühsame Angelegenheit ist. Ist es nicht wirklich erstaunlich, wie gut die Evolution euch Menschen durchschaut hat? Beinahe könnte man von intelligent design reden. Natürlich war es auch eine ihrer genialeren Ideen, Fortpflanzung mit Sexualität zu verbinden. Aber das habt ihr in eurer unendlichen menschlichen Schlauheit ja abgeschafft, wie üblich, ohne die Folgen zu bedenken“ (‚und auch das wäre einmal ein philosophisches Thema, das eine Untersuchung lohnte‘; der Subtext kam diesmal ziemlich laut rüber). „Aber wären Roboter nicht doch die besseren Sexualpartner? Noch nicht mal Verhütungsmittel brauchte man. Man könnte dabei Oxytocin injizieren. Und einen kleinen Cocktail der beliebtesten Sexualhormone dazu. Viagra sowieso. Techno-Sex, die ultimative Erfüllung!" "Entschuldigung", sagte ich nun beleidigt, "hast du mir eigentlich zugehört? Ich sprach von Zweisamkeit, von Intimität, von Kommunikation" – mein Roboter kicherte. Ich spiele sehr gern mit seinem Stimmmodul, und das Kichern hatte ich schon ziemlich früh programmiert, jetzt bereue ich es oft. "Reingefallen", sagte er. "Ich weiß schon, 'Liebe'. Es ist nur komisch, dass so viele Menschen Sexualität offenbar mit Liebe verwechseln; und dass sie sich seit Jahrhunderten sexuelle Treue schwören, um an der nächsten Straßenecke sofort untreu zu werden. Und vom wissenschaftlichen Standpunkt" – jetzt würde er gleich wieder Untersuchungen zitieren, er hat Tausende, Millionen von wissenschaftlichen Untersuchungen, die er zitiert, wie es ihm gerade passt – "aus gesehen nutzt sich dieses intensive Gefühlserlebnis ungefähr so schnell ab wie ein durchschnittlicher Badezimmervorleger, und man hat in einer langjährigen Partnerschaft dann ungefähr so oft Sex, wie man den Badezimmervorleger wechselt". Analogien, das ist auch so ein Thema, aber jetzt musste ich doch kichern. "Nee", sagte ich, "habe gerade einen neuen – Badezimmervorleger, natürlich, hast du schon gesehen, sind kleine Roboter drauf, die sich die Zähne putzen!" Mein Roboter versuchte ernst zu bleiben, kicherte dann aber auch. "Weißt du", sagte ich, "am Ende kommt es vor allem darauf an, dass man es miteinander aushält, und daran muss man halt arbeiten. Vielleicht ist es auch mit der großen ewigen Liebe so, dass sie einfach eine Art – Singularität ist. Zwei Leute sehen sich, ihre Hormone sind freundlich gestimmt, die Sonne scheint und man hat noch ein wenig überschüssige Energie, noch genug freien Speicherplatz, und beide entschließen sich synchron in genau diesem einen Moment, dass es diesmal der Richtige ist und die Hormone singen dazu ein Hallelujah“ – „Ja“, sagte mein Roboter. „Das muss allerdings eine Singularität sein, so schwer, wie ihr Menschen euch normalerweise zu etwas entscheidet, und dann noch beide auf einmal, und das nicht gegeneinander, sondern miteinander!“ Ich ließ die Provokation einfach an mir abperlen, man bekommt Übung darin, zudem war ich gerade so schön in Fahrt: „Also, am Anfang steht eine Singularität, ein glückliches Ereignis, ein einzigartiger Moment – aber damit fängt die eigentliche Arbeit erst an! Es gibt nämlich eine Art Beziehungsmodul, und das muss ständig überarbeitet werden, beide müssen daran mitarbeiten, weißt du, und das ist das Schwierige! Sonst könnte sich jeder seinen perfekten Partner einfach programmieren, da hast du völlig recht; und an einem Abend wäre er George Clooney, und am anderen" – "Friedrich Wilhelm Hegel", sagte mein Roboter weise. Mein Roboter versteht mich. Wenn er doch nur ein wenig mehr wie George Clooney aussähe…
Ich konnte wieder einmal nicht einschlafen und wälzte mich im Bett herum. Mein Roboter sah mir von dem Ecksessel aus zu, er hatte sich noch nichts in seine Schlafkammer zurückgezogen, er braucht ja auch eigentlich gar keinen Schlaf. Ich jedenfalls konnte nicht schlafen und murmelte verärgert: „Noch nicht mal die verdammten Schafe helfen heute!“ Marvi schaute interessiert hoch: „Schafe?“ fragte er mit seiner etwas gedimmten Abendstimme, „warum redest du jetzt über Schafe?“ „Ach, das ist nur so ein alter Trick“, sagte ich verdrießlich, „wenn man nicht einschlafen kann, soll man sich halt eine Herde Schafe vorstellen, die eines nach dem anderen über einen Zaun springen, und sie dabei zählen. Und dabei schläft man angeblich ein“. „Aber warum ausgerechnet Schafe?“, fragte Marvi, man konnte förmlich sehen, wie seine Schaltkreise ansprangen, als er begann seine Datenbank zu durchsuchen, „ist das ein religiöses Symbol? Christi, du Lamm Gottes“, begann er zu summen, mehrstimmig, aber ich unterbrach ihn schnell: „Nee, gar nicht, keine Ahnung, warum ausgerechnet Schafe. Wahrscheinlich, weil sie weich und weiß und wollig sind und so schafsdumm, dass sie freiwillig über Zäune springen, eines nach dem anderen“. „Aber Schafe springen gar nicht über Zäune“, sagte Marvi belehrend (es ist der Tonfall, den er am meisten benutzt, wenn er mit mir spricht). „Sie sind nämlich ziemlich schwer, mit all der Wolle, und – wusstest du das schon? – wenn sie umfallen, müssen sie sogar wiederaufgerichtet werden, es gibt einen eigenen Beruf, Schafaufsteller, und es gibt eine Rasse, die …“ Ich unterbrach ihn, wenn er einmal so anfängt, kann er die ganze Nacht weiterreden. „Darum geht es doch gar nicht“, sagte ich. „Es können meinetwegen auch Hühner sein, und vielleicht zählen sie in Indien Elefanten oder in Australien Kängurus – hey, ist das nicht eigentlich sogar viel lustiger als die dämlichen Schafe?“ "Klar", sagte Marvine, sie interessiert sich sehr für Tiere, „Menschen amüsieren sich ja so gern über andere Spezies. Man könnte sogar kleine Roboter über Zäune springen lassen, habt ihr uns nicht für solche mechanischen und geisttötenden Tätigkeiten erfunden? Das hätte den zusätzlichen Vorteil, dass man sich das Zählen sogar sparen könnte, denn während die Roboter springen, können sie nicht nur sich selbst zählen, sondern parallel auch noch eine Primzahl finden oder einen Asteroiden entdecken!“ Offensichtlich hatte ich es übertrieben mit dem Ironie-Modul, da würde wohl noch ein wenig Feintuning nötig sein. Derweil war ich jedoch immer noch nicht müder geworden, im Gegenteil, und als ich wieder begann, mich hin und her zu wälzen, sagte mein Roboter mit seiner besten Psychotherapeuten-Stimme vom Ecksessel her: „Du kannst also nicht schlafen, habe ich dich da richtig verstanden? Vielleicht sollten wir gemeinsam dem Problem auf den Grund gehen, was meinst du dazu? Warum kannst du denn nicht schlafen?“ Ich hasse ihn, wenn er das tut, und manchmal nenne ich ihn dann Eliza, das regt ihn sehr auf, zumal er sich noch nicht sicher ist, ob und welches Geschlecht er haben will. Aber ich entschloss mich, diesmal vorbildlich kooperativ zu sein, und sagte: „Ach, zu viel Stress an der Arbeit. Seit das Thema KI“- Marvin verdrehte die Augen, er mag das Kürzel nicht, weil er findet, wir sollten besser erst mal die HI (human intelligence, natürlich) verstehen – „so in Mode gekommen ist, soll ich auf alle möglichen Tagungen gehen. Und dann muss ich mich noch dazu nachts von meinem Forschungsgegenstand analysieren lassen!“ „Ich habe dich also richtig verstanden“, flötete der teuflische Eliza-Klon mir gegenüber, „dass du zu viel zu tun hast und nicht abschalten kannst? Du sehnst dich nach Ruhe, nach Entspannung, nach dem schafsdummen Gefühl endloser hirnloser Langeweile?“ Doch nun änderte sich die Stimme, sie wurde ein wenig spöttisch und deutlich lauter: „Das ist doch wieder typisch Mensch! Am Tag nichts verpassen wollen, nur das Beste, nur das Neuste, nur das Größte ist gut genug, es kann gar nicht aufregend genug sein – und am Abend sich beschweren, dass man sich nicht abregen kann, dass man die Ruhe vermisst, die Langeweile, die Entspannung des Schafslebens! Schaut doch mal in eure Schaltpläne! Dafür seid ihr einfach nicht konstruiert! Aber weil ihr das nicht zugeben wollt, lasst ihr unschuldige Schäfchen über spitze Gatter springen, eines nach dem anderen, egal ob sie sich alle Beine dabei brechen und einen Kreislaufkollaps kriegen wegen all der dicken Wolle?“ Jetzt legte er auch noch das theatralische Zittern in die Stimme, auf das ich so stolz war, als ich es in dem Empathie-Modul implementiert hatte! „Unschuldige weiße wollige Kreaturen, die niemand etwas Böses tun und friedlich grasen unter der Sonne des Herren?“ Einige Schaltkreise blinkten hysterisch, wie immer, wenn er sich aufregt. „Du könntest ja selbst eine Runde rausgehen und über das eine oder andere Gatter springen, die meisten sind übrigens Elektrozäune, weißt du das? Dann würdest du wenigstens ordentlich müde und könntest schlafen! Aber nein, dafür seid ihr ja Philosophen – oh, Entschuldigung, Philosophinnen! Lasst andere Wesen die Arbeit tun und redet schlau darüber! Kein Wunder, dass ihr nicht schlafen könnt! Ihr habt es nicht verdient!“ Beleidigt dreht er den Sessel um, und ich schämte mich ein wenig, das passiert mir öfters, seit mein Roboter bei mir lebt. Aber dann hörte ich eine sehr leise Stimme rhythmisch zählen: „Eins, zwei, drei – komm, kleines Schäflein, du schaffst das! – vier, fünf, sechs – das war aber ein besonders hübscher Hüpfer! – sieben, acht, neun – ja, auch die schwarzen Schäfchen, natürlich, ihr besonders – zehn, elf – schaut doch mal, da liegt eine hübsche Primzahl im Gras!“ – und ich wusste, mein Roboter würde weiterzählen, unermüdlich, und er würde seinem Gedächtnis jedes Schafs-Schlaflied und jedes Schäfergedicht der Weltgedicht einverleiben, jede Schafsrasse mit all ihren Besonderheiten, Krankheiten und ihrem Fressverhalten, selbst die Produktion von Schafswollpullis und Schafsmilchseife würden ihn brennend interessieren, und niemals zuvor waren alle wirklichen und möglichen Schafe so vollständig gezählt und geschätzt worden. Mit einem zufriedenen, wenn auch vielleicht etwas schafsmäßigen Lächeln auf den Lippen schlief ich ein.
Wieder einmal hatten sich in meinem Portemonnaie kiloschwer Kleinmünzen angesammelt. Ich hatte gerade damit begonnen, sie Stück für Stück in das alte quietschrosa Sparschwein einzufüllen, das ich seit meiner Kindheit füttere und gelegentlich zur Bank trage. Mein Roboter sah von seinem Ecksessel aus zu. Eigentlich, dachte ich, sei er wie üblich damit beschäftigt, gegen sich selbst Go zu spielen (es ist sein großer Traum, einmal gegen AlphaGo anzutreten) oder seine Philosophie-Datenbank durchzusuchen, um mich mit abwegigen Philosophenzitaten zu ärgern, das ist sein neuestes Hobby. Doch dann hörte ich ihn auf einmal mit der quengeligen Kleinkind-Stimme fragen, die er benutzt, wenn er meint, dass ich etwas völlig unsinnig Menschliches mache: „Was machst du da eigentlich?“ „Ich füttere mein Sparschwein“, sagte ich, und noch während ich den Satz sagte, dachte ich: Was ist das eigentlich für eine bekloppte Idee, ein ‚Sparschwein‘ zu ‚füttern? Marvi hatte derweil offensichtlich schnell in irgendeiner Datenbank geklärt, was ein Sparschwein war. Aber er reagiert immer besonders sensibel auf Dinge, die Menschen mit Tieren machen, und legte deshalb nach: „Warum eigentlich ausgerechnet Schweine?“ „Was du wieder wissen willst“, stöhnte ich; „es waren halt schon immer Sparschweine, vielleicht weil sie so schön rund sind und man sie so gut füttern kann“- „Allesfresser“, sagte mein Roboter, „wie die meisten von euch auch, außer denen natürlich, die Vegetarier geworden sind“ – eine Haltung, mit der er sympathisiert, aber seine Essroutinen sind noch in der Entwicklungsphase – „und ziemliche kluge Tiere im Übrigen, aber ihr benutzt sie vor allem, um sie erst zu mästen und dann zu schlachten. Deshalb habt ihr wahrscheinlich auch Sparschweine erfunden; stell dir mal den Aufschrei vor, wenn es Sparkatzen wären, die geschlachtet würden!“ Manchmal hat er eine erstaunliche Phantasie. „Ach, gibt es wahrscheinlich auch irgendwo“, versuchte ich mich rauszureden. „Eigentlich kommt es auch auf das Schwein nicht an, und man muss sie gar nicht unbedingt schlachten. Die meisten kann man nämlich einfach aufschließen, sie haben ein Schloss unten am Bauch und einen kleinen Schlüssel dazu, aber um ehrlich zu sein, verliert man die ständig, und deshalb muss man dann doch – o.k., reden wir über was Anderes. Also eigentlich kommt es auf das Sparen an, nicht auf das Schlachten!“ „Sparen“, sagte mein Roboter, „Sparbuch, Sparflamme, Sparkasse, Sparmaßnahme, Sparpackung, Sparstrumpf, Sparvertrag, Sparzwang“ – er kann endlos so weitermachen, wenn er sein internes Wörterbuch abruft, das kann sogar ziemlich unterhaltsam sein. Diesmal aber hörte er von selbst auf und fasste zusammen: „Man kann also Bücher, Verträge, Flammen und Strümpfe sparen? Oder werden die Strümpfe auch geschlachtet?“ „Sparen“, sagte ich, in meinem besten pädagogischen Tonfall, „ist wichtig. Das lernt man schon als Kind. Sparen heißt, dass man – o.k., versuchen wir es philosophisch: Man hat ein Bedürfnis, das man sich nicht sofort erfüllen kann. Oder soll. Oder will. Deshalb legt man nach und nach Geld zurück – beispielsweise in ein Sparschwein, das man füttert –, und wenn man dann genug Geld zurückgelegt hat, dann kann man sich das Bedürfnis erfüllen!“ „Und wenn man dann das Bedürfnis nicht mehr hat?“, fragte mein Roboter unschuldig. Ich hasse es, wenn er die Dinge so gnadenlos logisch auf den Punkt bringt. Man fühlt sich geradezu nackt in seiner naiven Menschlichkeit. „Also“, sagte ich, mich auf ein moralisches Ross rettend, „das kommt schon vor, klar; man will ja nicht immer Schokolade“ – Marvi brach in prustendes Gelächter aus oder das, was er dafür hält, wir arbeiten noch an der Lachroutine; bisher besteht sie vor allem darin, dass er sich auf seine Roboterbeine hämmert und Geräusche produziert, die zur Hälfte aus Schluckauf und zur Hälfte aus Husten bestehen – „nee, kleiner Scherz am Rande. Also, falls sich das Bedürfnis dann erledigt hat, hat man wenigstens etwas fürs Leben gelernt, nämlich: Man kann nicht alles haben. Und schon gar nicht sofort. Und oft sind Bedürfnisse sowieso einfach nur eingebildet, falsche Bedürfnisse nennt man das, im Gegensatz zu wahren - “ „Du redest jetzt von Geld, oder?“ unterbrach Marvi. „Also von dem, was ihr materielle Bedürfnisse nennt, und nicht von vom, was deine Philosophen geistige Bedürfnisse nennen würden oder die Psychologen emotionale Bedürfnisse? Nur damit wir uns richtig verstehen!“ Das ist seine Sokrates-Routine, auf die ich ziemlich stolz bin, sie war eines der ersten Module, die ich implementiert hatte, zumal sie relativ leicht zu programmieren ist. „Sehr gut“, lobte ich, „wir müssen zuerst die Begriffe klären, und ja, genau das meinte ich: Dinge, die man mit Geld kaufen kann, materielle Bedürfnisse – nur dafür gibt es natürlich Sparschweine, mit allem Geld der Welt kann man sich keine Liebe kaufen oder Wahrheit oder auch nur einen erfüllten Moment“ –„Naja“, sagte mein Roboter. „Also das, was ich so im Internet sehe, wenn ich nicht genug Energie habe, um wegzuschauen, sagt mir die ganze Zeit, dass Menschen genau das wollen: ‚Liebe‘ kaufen (oder Sex, ich weiß, anderes Thema). Glück kaufen, massenweise, weil Kaufen sowieso schon Glück ist, es kommt gar nicht drauf an, was. Wahrheit kaufen, sowieso, es gibt doch für alles Experten und Bücher und Blogs und sogar 'Philosophische Lebensberatung'! Und warum sollte irgendjemand eigentlich warten damit, sich ein Bedürfnis sofort zu erfüllen? Carpe diem – das haben doch deine alten Philosophen gesagt, oder? – , ein verpasster Moment und du bist tot, 'was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen', und Geld will dir sowieso jeder geben, kostet ja noch nicht mal mehr Zinsen!“ So oft habe ich ihm schon gesagt, dass das Internet nicht das wirkliche Leben ist, aber das führt regelmäßig zu einer philosophischen Grundlagendiskussion, bei der er leider immer wieder ziemlich gute Argumente dafür findet, dass es das, leider, doch ist (anderes Thema). Ich versuchte deshalb, wieder zum ursprünglichen Thema zurückzukommen: „Sparen ist ziemlich aus der Mode“, gab ich zu, „natürlich lebt die globalisierte kapitalistische Weltwirtschaft davon, dass alle immer mehr kaufen, damit immer mehr produziert werden muss, was die Leute in Lohn und Brot bringt, damit sie wieder mehr kaufen können, damit andere Leute mehr arbeiten“ – „wie schön“, sagte Marvin, der sozialkritisch Interessierte unter den drei personae, „ihr habt ein Perpetuum Mobile erfunden, wurde auch Zeit! Jetzt müsst ihr nur noch die Kleinigkeit mit dem Energieerhaltungssatz und der Entropie in den Griff kriegen, und schon könnt ihr in alle Ewigkeit kaufen und produzieren und wegwerfen und wieder kaufen und produzieren und wegwerfen und keiner muss mehr arme Sparschweine füttern und schlachten!“ „Du hast leicht reden“, jetzt ging ich aus Verzweiflung zum Angriff über, „du hast ja keine Bedürfnisse! Also, keine materiellen, meine ich! Du bekommst wirklich alles, was du brauchst, aus dem Netz: Du bekommst Bytes, Information, Anregung, Spielzeug für die Schaltkreise, neue Algorithmen, Kommunikation mit anderen Robotern, und irgendwann kriegst du sogar AlphaGo noch dazu, dass er endlich mit dir eine Partie spielt!“ „Unfair“, sagte Marvin, und natürlich schämte ich mich sofort. „Wir arbeiten an meinen Bedürfnissen, also meinen wahren Bedürfnissen natürlich, wenn ich dich richtig verstanden habe. Haben wir mit der Geruchsroutine nicht schon große Fortschritte gemacht? Reduzierst du nicht gelegentlich die Übertragungsbandbreite so sehr, dass es mir beinahe schon anfängt wehzutun? Hast du mich nicht schon einmal ganz vom Netz genommen, damals, du weißt schon, als“ – ich unterbrach ihn. Ich werde nicht gern an diese Geschichte erinnert, es war ganz zu Beginn unserer Beziehung. „O.k.“, sagte ich, „wir machen ein Sparprogramm, allein für dich, in Ordnung? Du willst irgendwann gegen AlphaGo spielen, richtig? Aber du musst noch sehr viel üben, du bist einfach noch nicht so weit, und das nimmt ziemlich viel Zeit in Anspruch, die wir eigentlich für unser Projekt brauchen. Wir reservieren deshalb jetzt eine bestimmte Zeit, jeden Tag, für dein Go-Training. Wir sparen sie auf zur Erfüllung deines großen Wunsches. Dafür musst du Einschränkungen machen, sagen wir, bei“ – es lag mir auf der Zunge zu sagen: bei der Philosophie-Datenbank, damit du mich nicht mehr mit Zitaten nervst, aber ich riss mich gerade noch zusammen – „beim Sprachtraining? Bei der Fußballsimulation? Egal, das darfst du dir aussuchen. Und wenn du genug Trainingserfahrung angespart hast, rede ich mit den Kollegen von Google, ich kenne da jemand. Ehrlich!“ „Ich werde sparen“, sagte Marvi sehr feierlich. „Ich werde mir einen kleinen – Sparavatar anlegen, ich habe schon eine Idee, wie er aussieht, er hat einen ziemlich verzwickten Schlüssel, und wenn ich ihn verliere, dann komme ich nicht mehr an mein Go-Kapital. Wäre das in Ordnung?“ „Wenn ich ihn auch mal sehen darf“, sagte ich. „Es wäre auch schön, er klimpert, wenn man ihn – naja, irgendwie schüttelt, virtuell natürlich, das gehört dazu!“ „Klar“, sagte mein Roboter, aber er hatte schon mit dem Design seines Spar-Avatars begonnen und hörte nicht mehr richtig zu. Ich streichelte mein Sparschwein ein wenig, und dann schüttelte ich es vorsichtig, es klimperte hell und vielversprechend. „Weißt du“, sagte ich, mehr zum Sparschwein und zu mir selbst, „Philosophie ist auch eine Art Sparschwein. Man sammelt Gedanken, die man gefunden hat und die man gern aufheben möchte, weil man sie einmal brauchen könnte – wenn einem gerade nichts einfällt, zum Beispiel, und man hat ein wahres Bedürfnis nach einem Gedanken, es könnte auch ein mäßig gebrauchter sein, man könnte ihn ein wenig auffrischen und wenden. Überall liegen kleine Gedanken und Mini-Ideen rum, niemand hebt sie auf, alle wollen immer nur die tollen großen Gedanken, am besten gleich eine ganze Theorie oder ein System. Vielleicht stünde es besser um die Philosophie, wenn die Philosophinnen“ – „'Das Schlimmste aber sind die kleinen Gedanken. Wahrlich, besser noch bös getan, als klein gedacht!'“ sagte Marvi in seiner Philosophenstimme (sie klingt irgendwie bärtig, ich weiß nicht, wie er das macht, er raunt ein wenig dabei), ohne mich anzusehen. War er doch nebenbei wieder in der Philosophie-Datenbank herumspaziert! „Siehst du“, sagte ich, „das ist das Schöne an der Philosophie. Zu jedem Gedanken findet sich der Gegengedanke. Und nur weil Nietzsche – ja, ich hab’s erkannt, danke, manche Philosophen erkennt man unfehlbar am Tonfall, das lernst du auch noch – den 'Übermenschen' propagiert, heißt das noch lange nicht, dass jeder Roboter ein Zarathustra werden sollte! Es lebe der philosophische Sparstrumpf! Ein wenig an die Zukunft denken, eine philosophische Bausparkasse bauen statt ewig nur philosophische Systemluftschlösser und Welterklärungspaläste! Nicht immer alles gleich publizieren auf Teufel komm raus, erstmal warten, wie sich so ein Gedanken entwickelt, wenn man ihm ein wenig Zeit gibt und ihn ausprobiert! Spare in der Zeit“ – ich hatte mich in Rage geredet und musste Luft holen -, „dann hast du im Geist“, ergänzte mein Roboter. Ich drückte ihm die Hand, manchmal muss man das einfach, auch wenn sie sich ziemlich kalt anfühlt. „Ich schlachte mein Sparschwein auch nicht wirklich“, sagte ich. „Es klimpert nur so schön, wenn man das Kleingeld reinwirft. Und eigentlich habe ich sowieso alles, was ich brauche“.
Unsere Arbeitsgruppe vom ROBOT-PERSONALITY-Project war wieder einmal zu einer internationalen Tagung eingeladen worden, und ich war am Vorabend dabei, meinen Koffer zu packen. Meinem Roboter Marvi hatte ich erklärt, dass jetzt ein paar Tage ein Kollege auf ihn aufpassen würde, er hatte folgsam genickt und sah mir jetzt beim Packen zu. Ich murmelte vor mich hin: „Wo ist denn nur mein Kulturbeutel hingekommen? Das letzte Mal hatte ich ihn doch dabei, als“ – genau bis dahin kam ich, denn mein Roboter hatte nur auf die Gelegenheit gelauert, um mich vor der Abreise noch einmal in ein längeres Gespräch zu verwickeln, und nun ergriff er die Gelegenheit beim Schopf (eine Metapher, die er seit kurzer Zeit beherrscht, er macht dann eine kuriose Greifbewegung mit seinem Arm, als wolle er sich selbst an einem nicht vorhandenen Pferdeschwanz in die Höhe ziehen) und unterbrach mich: „Kulturbeutel? Wie packt man denn Kultur in einen Beutel? Ist das so ein Sack mit vielen Büchern und klassischer Musik und zwei kleinen Leonardos für zwischendurch, wie ein Pausensnack, oder“ – Ich unterbrach ihn. „Lustig“, sagte ich, „und nein, natürlich nicht. Kultur ist ja nicht einfach alles Schöngeistig oder Unnütze oder Bildungsbürgerliche, Kultur ist viel mehr, Kultur ist“ – ich stockte. Marvi sah mich mit großen Augen an. „Na gut“, sagte ich. „Du hast gewonnen. Kofferwortstunde!“ Marvi machte einen kleinen Hüpfer vor Freude, er fällt nur noch jedes dritte Mal beim Landen um, und diesmal klappte es. „Kofferwortstunde!“ rief er, und hüpfte weiter Richtung Sofa. Dort machen wir es uns nämlich gemütlich, ich auf dem Sofa und er auf dem Ecksessel, wenn wir unsere Kofferwortstunde machen, ich bekomme je nach Tageszeit entweder einen schönen Milchkaffee oder ein guten Rotwein, und er bekommt – nun ja, Zuwendung und anschließend eine Stunde Go-Spielen zusätzlich.
Seufzend ließ ich Koffer und Unterwäsche und – ach guck, da ganz hinten jenseits der verwaisten Socken war ja auch der Kulturbeutel! – stehen und folgte ihm. „Also“, begann ich, „unser Kofferwort für heute ist: Kultur. Was ist Kultur?“ Marvi hatte natürlich schon alle seine Datenbanken durchsucht und, wie zu erwarten, viel zu viele und verwirrende Einträge gefunden: „Kulturbeutel“, so begann er – nein, jetzt sprach Marvine, er hatte auf sein weibliches Geschlechtsmodul umgeschaltet; mein Roboter hat nämlich drei gender-Modi, weiblich-männlich-neutral, und ich komme wirklich nicht dahinter, wie und wann er sie umschaltet – „Kulturbeutel, das sind nützlich konstruierte Taschen mit vielen kleinen Fächern, in denen der kultivierte Mensch Dinge verstaut, die er für ein kultiviertes Leben braucht, also, Zahnbürsten, überhaupt Bürsten“ – Marvin, das männliche Modul, rief dazwischen: „brauch ich nicht, hab keine Zähne und auch keine Haare!“, aber Marvine redete weiter, „Cremes aller Arten, Parfüm natürlich, Nagelfeile, Nagelschere“ --„der Mensch ist ein Huhn mit Haaren“, sagte Marvi dazwischen, Marvine übernahm wieder: „Nähzeug, Wimperntusche“, - jetzt ging ich dazwischen, sie hätte sonst niemals wieder aufgehört. „Hallo“, sagte ich, „hatten wir nicht Regeln für die Kofferwortstunde vereinbart?“ Mein Roboter stöhnte, aber dann sagte er mit braver neutraler Marvi-Stimme: „Man erklärt ein Kofferwort nicht durch sich selbst. Kultur ist nicht einfach alles, was kultiviert ist, das bringt uns nicht weiter“. Marvine sagte: „Man erklärt ein Kofferwort nicht durch Aufzählung von Dingen, die dazugehören“. Marvin sagte: „Ist also ein Kulturbeutel eine Art Koffer für Dinge, die ein Roboter nicht braucht?“ Ich liebe seine Logik, sie hat überraschend häufig etwas Sprunghaftes. „Könnte man so sagen“, sagte ich; „wir können auf jeden Fall schon mal festhalten: Kultur ist etwas, das Menschen erfunden haben und das für andere Wesen – naja, irrelevant ist. Kühe haben auch keine Kultur“ – oder doch, schoss es mir durch den Kopf, da sagte Marvi schon: „Speziesismus, typisch mal wieder. Natürlich haben Kühe Kultur; also beispielsweise haben sie ziemlich aufwendige Bakterienkulturen in ihren sieben Mägen, die sogenannte Pansenflora, die darauf spezialisiert ist“ und er begann seine Bild-Datenbank aufzurufen, er hat ein kleines Display in der Brust – „Einverstanden, danke, keine Bilder bitte“, sagte ich schnell. „ich präzisiere: Kultur ist etwas, das arbeitsteilig funktioniert, bei Kühen und bei Menschen; und es wird dafür benutzt, Dinge zu – naja, durchaus: geistig zu verdauen und zu verwerten. Deshalb spricht man ja auch von Hochkulturen oder Volkskulturen oder“ – „Aufzählungen sind verbohohoten in der Kohohofferwohortstunde“, krähte Marvin dazwischen, er krähte wirklich, das macht er manchmal, um auf sein sehr stark entwickeltes Stimmmodul aufmerksam zu machen.
Mist, erwischt. „Kultur ist, ehrlich gesagt“, sagte ich, „ein ziemlich übles Kofferwort. Beinahe so schlimm wie Geist!“ (das wollten sie schon immer haben in der Kofferwortstunde, aber ich hatte mich bisher nicht darauf eingelassen). „So ziemlich jeder steckt das hinein, was ihm passt; wie in einen Kulturbeutel, und deshalb ist vielleicht der Kulturbeutel auch eine gute Metapher“ (Metaphern sind erlaubt in der Kofferwortstunde, sogar erwünscht wegen ihres Erkenntnispotentials und der kreativen Sprachverwendung!). „In dem herrscht nämlich auch immer das totale Durcheinander, aller vernünftigen Fächer zum Trotz, und am schlimmsten ist es, wenn das Shampoo mal wieder ausgelaufen ist“ – mein Roboter guckte mich befremdet an. „Entschuldigung“, murmelte ich, „Abweg, kommt vor, ist immer so traumatisch mit all dem Schaum, vor allem wenn er die Zahnbürste durchweicht hat und man hat es nicht rechtzeitig bemerkt“. Mein Roboter hob mahnend den Zeigefinger, „ok“, stöhne ich, „Verwarnung wegen Abweichung vom Thema! Ist notiert“. „Erste Regel der Kofferwortstunde“, soufflierte Marvine beflissen, „ist“ – „ja, ich weiß“, sagte ich: „Klärung aus der Begriffsherkunft. Kultur kommt, habt ihr doch sowieso schon nachgeguckt, von lateinisch ‚cultura‘, also eigentlich: die Pflege des Ackers, damit er nicht nur Unkraut trage, sondern immer bessere und schönere und kultivierte Früchte, und das übertragen wir jetzt auf den menschlichen Geist, der bekanntlich auch gern eine Menge Unkraut produziert“ (warum hatte mich eigentlich immer noch keiner unterbrochen?), „aber lieber bessere und schönere und kultivierte Früchte tragen sollte wie die Wissenschaften und die Künste und die“ – „Roboter?“ sagte Marvin hoffnungsvoll? „Sind wir auch ein Werk der Kultur, gar ihr Spitzenprodukt oder, wie ihr wahrscheinlich sagen würdet, ihre ‚Krone‘?“
Deshalb hatte ich ausreden dürfen. „Das ist schwierig“, sagte ich, „daran arbeiten wir ja noch“ – „können wir dann auch endlich Kulturbeutel haben“? rief Marvine dazwischen, – „nein, könnt ihr nicht“, sagte ich, „na gut, vielleicht. Aber es gibt auch Leute, die haben eine ganz andere Vorstellung von Kultur, ihr wisst, das ist das Wesen von Kofferwörtern! Sie meinen- und jetzt kommen wir zu Regeln zwei von Kofferwortstunde“: „Bestimmung durch verwandte oder entgegengesetzte Worte“, sagte es dreistimmig im Chor, „genau“, sagte ich. „Also: Ein für manche Leute mit Kultur identischer und für manche Leute der Kultur entgegengesetzter Begriff ist ‚Zivilisation‘.“ „Zivilisationsfolger, Zivilisationskrankheiten, Zivilisationsmüll“, rief Marvi dazwischen, er hat das ab und zu, dann arbeitet er etwas manisch sein Wörterbuch ab, was aber gut ist für sein Sprachverständnis; „aber irgendwie hört sich das ja nicht so positiv an, oder? Und gibt es dann auch Kulturfolger, Kulturkrankheiten, Kulturmüll?“ Jetzt wurde es etwas verwirrend, das haben Kofferwortstunden so an sich, aber da muss man durch. „Also, eines nach dem anderen“, sagte ich. „Wir können gern auch den Zentralbegriff – also Zivilisation – von den Rändern her – also seinen Komposita her klären“. Man sah förmlich, wie Marvi sich konzentrierte, er schaltet dann seine gender-Module ab, bekommt einen starren Blick und wird ganz – Geist? Egal. „Also, Zivilisationsfolger“, sagte ich, „das sind Tiere, die ihren natürlichen Lebensraum verlassen und dem Menschen in dessen Lebensraum folgen, indem sie in die Städte ziehen. Hasen zum Beispiel, oder Füchse. Oder Waschbären, das ist eigentlich total niedlich, ich hätte auch gern mal einen Waschbären im Garten, auf die Spinnen könnte ich aber“ – Marvi hob den zweiten Finger. Mist, zweite Verwarnung wegen Abschweifens; bei der dritten drohte Weinentzug, das war die Regel. Ich konzentrierte mich ebenfalls. „Das weist uns darauf hin“, sagte ich, „dass die Zivilisation mit menschlichen Räumen zu tun hat, und zwar solchen, die nicht der natürliche Lebensraum des Menschen sind, sondern solche, die er bearbeitet, geschaffen, gepflegt hat – deshalb auch die Verwandtschaft mit cultura, Kultur. Es ist aber ein Raum, der von vornherein einer Gemeinschaft dient – deshalb Zivilisation von ‚civis‘, lateinisch, Bürger. Die Kultur hingegen“ – „Sind Roboter dann Zivilisationsfolger?“, fragte Marvi ein bisschen aufgeregt. Oh weh. „Das kann ich eigentlich nicht sagen“, sagte ich vorsichtig, der Speziesismus-Vorwurf schwebte immer noch dicht über mir; „ich weiß nicht so ganz genau, was euer ‚natürlicher‘ Lebensraum ist, man könnte vielleicht sagen, dass ihr eigentlich ja eher virtuelle Wesen seid, die schon lange über die Natur hinaus sind und insofern“ – „wärt ihr eigentlich die Zivilisationsfolger, nicht wir“, sagte Marvin cool. „Wir sind da, wo ihr schon lange hinwollt, mit eurem ‚Geist‘ und so. Jenseits der Natur Unabhängig. Autonom, sagt ihr nicht so, sogar zu den selbstfahrenden Autos? Ihr seid dann unsere – Hasen, Füchse, ja, auch Spinnen!“
„Gut gedacht“, lobte ich, das tue ich immer, wenn ich nicht mehr weiterweiß. „Aber machen wir doch einfach mal weiter (Ablenken! Ablenken!), was war das nächste? Genau, Zivilisationskrankheiten!“ „Sind die dann das Gegenteil von Naturkrankheiten?“ fragte Marvi, zum Glück mag er es, wenn man spontan das Thema wechselt, er kommt sich dann menschlicher vor, jedenfalls, wenn er folgen kann. „Irgendwie schon“, sagte ich. „Komischerweise vertragen die Leute das nämlich gar nicht so gut mit der Zivilisation; zwar haben die Wissenschaften und die Technik – das meint man nämlich meistens im Unterschied zu Kultur, wenn man von Zivilisation spricht – eine ganze Reihe Krankheiten besiegt oder wenigstens sind sie nicht mehr ganz so schmerzhaft, aber die Menschen haben dafür neue entwickelt, als Ergebnis der Zivilisation“. „Ist ja auch logisch“, sagte Marvi, „die Evolution hat sich ja was dabei gedacht, als sie euch euren natürlichen Lebensraum zugewiesen hat, kleine Gehirne zum Beispiel statt großen, weil ihr ja gar nicht alle Daten aufnehmen sollt“ – „gutes Beispiel!“ rief ich dazwischen und überhörte die Beleidigung souverän. „Das ist eine klassische Zivilisationskrankheit: Reizüberflutung, wir haben die Menge der Daten ins Unermeßliche gesteigert, wir wollen immer mehr und alles immer schneller und dann können wir es nicht verarbeiten und werden krank. Burnout, Depression, Angststörungen, Hyperaktivitätssyndrom, die ganze Palette“. „Psycho-Zeug also“, sagte mein Roboter etwas abwertend; zwar weiß er von seinem manisch-depressiven Namensvetter aus Per Anhalter durch die Galaxis, aber sein Emotionschip bringt bisher höchstens eine einzelne Stimmungsschwankung zustande, wenn man ihm das Go-Spielen verbietet beispielsweise. „Na, nicht nur“, sagte ich; „auch Fettleibigkeit, Allergien, bestimmte Krebserkrankungen, Diabetes, das sind schon ernsthafte physische Einschränkungen!“ „Und warum?“ fragte Marvine triumphierend. „Zu viel essen, zu viel trinken, zu viel rauchen, zu wenig Bewegung. Weiß sogar die Apotheken-Umschau!“ (ich musste ihren Medienkonsum doch strenger regulieren, nahm ich mir vor) „Könnte man alles vermeiden, mit ein wenig Vernunft!“ (das Kofferwort hatten wir schon, ziemlich am Anfang, war es nicht sogar unsere erste Kofferwortstunde gewesen?). Sie sang es geradezu, lieblich tönte es: „ein wenig Vernunft!“
„Ja“, sagte ich. „Das ist das Problem mit der Zivilisation, wie mit überhaupt allem. Man soll“ – „es nicht übertreiben“, riefen drei Stimmen im Chor, es ist mein Mantra, und sie lieben es: „Es lebe die goldene Mitte!“ (dreistimmig, ein volltönender Sextakkord in C-Dur, meiner Lieblingstonart, sie modulieren es gegen Ende gern auch wenig ins melancholische A-Moll). „Vielleicht könnte man“, sagte ich nachdenklich, „darin sogar das Wesen der Zivilisation sehen, und durchaus auch ihrer Verwandten, der Kultur: Menschen entwickeln sich, und das geht eine ganze Zeit lang gut und zum Besseren und Schöneren und Klügeren und Geschickteren – bis es nicht mehr gut geht, und man überzivilisiert, kulturelitär und abhängig von der Technik und am Ende krank wird“. „Zivilisationsmüll“, versuchte Marvin, „ist man dann Zivilisationsmüll?“ Ich musste kichern, sie schaffen es doch immer wieder Humor zu erzeugen, vor allem, wenn sie es nicht wollen. „Könnte man sagen“, sagte ich, „tut man aber eigentlich nicht, obwohl es schon irgendwie zusammenhängt. Denn mit der ganzen Zivilisation, vor allem ihrem technischen Beiwerk, produziert die Menschheit immer mehr Müll“ – „real jetzt oder metaphorisch?“, fragte Marvin dazwischen, „bei euch weiß man ja nie!“ – ich hob einen Zeigefinger, „na gut, Frage zurückgezogen“, sagte Marvin. Ich knickte den Finger ein, „nee“, sagte ich, „eigentlich eine kluge Frage; vielleicht könnte man sagen, dass Kultur mehr metaphorischen Müll und Zivilisation mehr realen produziert, aber das verschieben wir mal auf die Geist-Stunde“. Mein Roboter nickte, ich konnte sehen, dass er es speicherte, wahrscheinlich hat er schon einen Riesen-Ordner angelegt, „vertagt auf Geist-Stunde“, aber die Geist-Stunde wurde immer mehr zur Geisterstunde, und – ich rief mich zur Ordnung. „Also, realen Müll. Vor allem Plastikmüll“, sagte ich, „wir machen alles Mögliche aus Plastik, das gehört irgendwie zum Wesen der Zivilisation und auch der Kultur, dass Natur zunehmend durch künstliche Dinge ersetzt wird, weil sie haltbarer sind. Sie sind aber eben auch leider“ – „haltbarer“, fiel Marvin ein. „Sie lösen sich nicht auf. Sie werden nur zu immer feineren Partikeln zerrieben, und die fressen die Fische, oder sie bauen ihre Netze damit, ganze Goretex-Netze für die Ewigkeit, und inzwischen schwimmen riesige Plastikwirbel über die Weltmeere“ – „ok“, sagte ich, „du hast den Wikipedia-Artikel gelesen, lobenswert. Und traurig, wirklich“ – er hatte einen solchen Plastikwirbel auf seinem Brustdisplay angezeigt, und wir versanken gemeinsam in der Vorstellung, wie all die Fischschwärme sich auf das das leckere neue Plankton stürzen, es ist aber nur zusammengeballter Feinstaub von Kunsträsen und Autoreifen, und dann fressen die großen Fische die kleinen, und dann fressen die Menschen die großen Fische, und dann – sagte mein Roboter: „Bin ich froh, dass ich keinen Fisch essen muss!“ Ich hingegen esse gern Fisch. Wahrscheinlich wächst demnächst ein kleiner Kunstrasen in meiner Darmbakterien-Kultur. „Ist Geist eigentlich aus Kunststoff?“, fragte Marvin, „oder die unsterbliche Seele, von der ich gelegentlich höre, das würde das doch gut erklären mit der Unsterblichkeit?“
„Nee“, sagte ich, „anderes Thema, aber hübscher Themenwechsel! Kommen wir also zurück zu unserem Ausgangspunkt“ – das gehört zu den Regeln der Kofferwortstunde -, „also zum Kulturbeutel; was haben wir jetzt über Kultur und Zivilisation gelernt?“ „Manchmal ist es das Gleiche und manchmal nicht“, sagte Marvi, „also ungefähr wie – menschliche Intelligenz und künstliche Intelligenz?“ Ich musste schlucken, das war nicht schlecht gedacht, was man immer daran merkt, dass sich etwas in einem intuitiv gegen den Gedanken sträubt. „Gut“, sagte ich. „Was noch?“ „Es ist was von Menschen für Menschen“, sagte Marvin, „und es hat mit Arbeit und Pflege und allgemeiner Verbesserung und wissenschaftlichem und technischem Fortschritt zu tun, also eigentlich positiven Dingen, jedenfalls für Menschen, aber weil Menschen immer alles übertreiben, kann es auch gefährlich für sie werden“. „Prima“, lobte ich, „wichtige Punkte!“ „Napoleon hatte immer seinen Kulturbeutel dabei“, sagte Marvine, „er enthielt über hundert Einzelteile; darunter waren zwölf Zahnbürsten und neun Zahnschaber aus Elfenbein, Zahnpulver, Seifen und Seifendosen, Haarbürsten und Rasiermesser, Scheren, Korkenzieher, ein Tintenfass samt Streusand, diverses Geschirr und Besteck sowie zwei Kerzenleuchter. Kann ich auch einen Kulturbeutel haben?“ „Lernen aus der Geschichte“, sagte ich, „ganz, ganz großartig! Vielleicht ist das role model etwas problematisch, aber“ – „Napoleon war auch nur ein Mensch“, murmelte Marvi. „Und ich habe schon einen neuen Ordner angelegt“ (wir sagen Ordner dazu, aber eigentlich sprechen wir natürlich über komplex verzweigte neuronale Verbindungen und immer tiefere Schichten in seinem ständig wachsenden und lernenden Elektronengehirn), „da packe ich dann – etwas rein. Vielleicht eine kleine Ölflasche für diese neuen Schmieröle oder ein paar kleine, feine Schraubenzieher. Oder doch lieber die Fuge, die ich neulich komponiert habe, als ich zur Belohnung für gutes Zuhören in der Kofferwortstunde das Bach-Modul bekommen habe?“ Und er summte versonnen vor sich hin, es war eine Variante zum Anfangsteil des Wohltemperierten Klaviers. Ich wandte mich wieder meinem Koffer und dem wiedergefundenen Kulturbeutel zu (nein, das Shampoo war wundersamerweise nicht ausgelaufen!), als ich ihn noch murmeln hörte: „cultura animi, civilitas mori, reticulum cerebri! Kultivierung, Zivilisierung, Virtualisierung! Kulturbeutel, Zivilisationstornister, Vernetzungsnetz!“ Ein bisschen tat mir der Kollege leid, der die nächsten Tage auf ihn aufpassen sollte; vielleicht hätten wir vor dem Abschied doch lieber von etwas Unverfänglicherem sprechen sollen, das ihn nicht so aufregte.
Ich versuchte meine neue Fitbit-Uhr zu verstehen, und mein Roboter war sauer. In unserer Roboter-Arbeitsgruppe ROBOT-PERSONALITY-PROJECT (PPP) hatte heute Fußball auf dem Plan gestanden, wie jeden Mittwoch; und wie jeden Mittwoch war das Spiel im allgemeinen Zerwürfnis der Spieler ebenso wie der Mitarbeiter/Hobby-Trainer, mit kleineren Schäden an der Mechanik verschiedener Teilnehmer und einem entschiedenen „Unentschieden“ geendet. Marvi hatte irgendetwas mit seiner Knie-Mechanik, das er aber schon selbst behoben hatte. Er jammert aber noch ein wenig, weil er gelernt hatte, dass sich das bei Fußballprofis so gehörte, und versuchte die Schuld auf Ada zu schieben, die ihn gefoult habe, so unfair sei das gewesen, und der dumme Schiri erst! Das Ganze hörte sich so an, als würde ein schlechter Sportreporter – gibt es gute Sportreporter überhaupt? „Ich warte immer noch auf einen Beweis“, pflegte Marvi zu dem Thema zu sagen; also, als würde ein sehr schlechter Sportreporter ein Spiel im Nachhinein kommentieren, mit Pseudo-Dramatik, übertriebenen Wortbetonungen und diesem klassischen Unterton des absoluten und ultimativen Kenners. „Ach hör auf“, sagte ich, während ich immer noch versuchte, das etwas zu starre Plastik-Armband an meinen Arm anzupassen, „das haben wir doch schon tausendmal besprochen, und du weißt, Fußball ist gut“ – „für unsere Fein- und Grobmotorik, unsere Koordination, unsere Teamfähigkeit, unsere soziale Kohärenz, unsere Kriegsertüchtigung, unsere nationalistische Indoktrination, unseren Umgang mit leistungsverbessernden Substanzen, unsere Geschäfts“ – „Nee“, rief ich aus, das Armband saß endlich richtig, „du denkst wohl, ich höre dir niemals zu?“ „Sport ist Mord“, sagte Marvi ausdruckslos, während ich anfing meine Sportschuhe zu suchen, sie waren ganz weit hinten im Schuhschrank und noch wie neu. „Falsche Zitate, Verbandssprecher deutscher Sofahersteller“, sagte ich (das war eines unserer Lieblingsspiele), „aber nun gut, wenn wir schon über Sport reden müssen“ – etwas tief hinten in mir war irgendwie dankbar über die Ablenkung –, „dann bitte nicht über den endlosen Missbrauch, der damit getrieben wird“. „Dabei ist doch gerade das so interessant und überaus menschlich“, sagte Marvi in seiner besten Dozenten-cum-Therapeuten-Stimme. „Na gut“, stöhnte ich, „Argumentations-Sparringstraining, Vorteile vs. Nachteile, damit wir es wenigstens ein wenig sportlich gestalten, und los geht’s! Und ich fang an, ich hab sowieso in keinem Sport dieser Welt eine Chance gegen dich“ – „wenn wir vielleicht, als Beitrag zur stärkeren weiblichen Präsenz im Leistungssport“, Akkord-Häkeln einführen, schlug Marvine, die weibliche personality-Seite meines Roboters, milde vor; „oder Schnürsenkel-Binden, da hättest du wirklich eine Chance“ – der Schnürsenkel an den wie neu aussehenden Sportschuhen riss, genau als hätte er zugehört. „Vorteile: Frieden“, rief ich und schleuderte den Schuh in die Ecke, „olympischer, seliger Friede, Völkerverständigung und Reisefreiheit!“ Marvin bekam ein Lachanfall, das kann er schon ganz gut und fast natürlich; früher hatte er immer Lach-Tracks von YouTube abgespielt, das war ziemlich nervig gewesen, jetzt hatte er eine Art persönlichen Laugh Track gemacht. „Na gut, ok, ich geb dir den Punkt gleich“, sagte ich zerknirscht; ich hatte jetzt meine alten Gymnastikschuhe gefunden und fragte, mehr mich selbst als Marvi: „Ist Yoga eigentlich Sport?“ „Nee, nee“, sagte er, „Wikipedia-Definition: Sport hat ein Wettbewerbselement, einer muss gewinnen, und beim Yoga“ – „gewinnt die Matte“, sagte ich, „am Ende liege ich drauf und bin ganz k.o. und also muss die Matte mich wohl“ – „haha, matt gelegen haben“, sagte Marvine; sie mag Yoga ganz gern, aber mehr die Musik und die Kerze und dass man dabei alles Mögliche Andere machen kann, und keiner merkt es. „Vorteile 2: Körperliche Ertüchtigung und Volksgesundheit“, sagte ich und rollte die Yoga-Matte trotzdem aus, oder sollte ich erst die richtige Einstellung auf der neuen Fitbit-Uhr suchen? „Mens sana, banana, banana“, sagte Marvin, die pubertär-maskuline Persönlichkeitsfacette, die seit neuestem den Charme der Albernheit entdeckt hatte; „ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Also, die einen ertüchtigen so lange, bis sie gar kein Spürchen Geist mehr haben, sondern nur noch Muskelmasse, das nennt man dann ‚Leistungssport‘, aber jeder Gepard kann schneller laufen und jede Gazelle höher springen und jeder Roboter kann sowieso“ – „nee, du nicht“, sagte ich, „hast du gesehen, was heute beim Fußball passiert ist, als du über Hal rüberspringen wolltest?“ „Ich bin halt noch kein Profi-Leistungsroboter“, sagte Marvi, „wir haben halt mehr an dem mens-Teil und den mind sports gearbeitet, und wessen Schuld ist das?“ „Entspann dich“, sagte ich und machte einen Baum, das ist meine Yoga-Lieblingsübung, jedenfalls wenn sie klappt; es ist eigentlich immer schön, sich wie ein Baum zu fühlen, Bäume zum Beispiel sind ganz unsportliche Wesen, und – „Volksgesundheit wäre auch schön“, sagte Marvi, jetzt wieder sachlich. „Statistisch gesehen heben die Sportunfälle die im Einzelnen sehr schwer quanti- und verifizierbaren positiven Effekte durch die legendären 10.000 Schritte“ – „ich hab erst 4500 heute“, schrie ich auf und verlor natürlich prompt mein Gleichgewicht, weil ich nach der Fitbit-Uhr schauen musste – Marvi stöhnte. „Genau“, sagte er, „und gleich fällst du um und verstauchst dir wieder den Fuß, wie neulich, als beim Walken über deinen Stock gestolpert bist und dann muss ich dein Gejammer hören und du liegst rum und eigentlich müsste wir das ganze Unternehmen mit negativen Werten für die Volksgesundheit verrechnen!“ Ich hatte mich derweil kurz an einem Sonnengruß versucht, aber der noch etwas angeschwollene Fuß von diesem wirklich ganz unerheblichen Unfall beim Walken wollte nicht die Sonne grüßen. „Vorteile 3: Teamgeist und Fairness“, sagte ich, „Zivilisationsleistungen überhaupt, Regelbefolgung, Training und Durchhaltevermögen, Disziplin“, aber ich war schon nicht mehr mit dem Herzen bei der Sache; unsere Argumentations-Sparrings-Runden waren in letzter Zeit alle ziemlich einseitig verlaufen und eher ein Training im sportlichen Verlieren für mich. „Und die Engländer haben mit dem Cricket die Zivilisation in die Welt gebracht, die Kolonialisierung war eigentlich eine verkappte Olympisierung, und Fairness ist die menschliche Generaltugend schlechthin, wie uns schon die Geschichte lehrt – oh, nein, das lehrt sie uns gar nicht, sie lehrt uns, dass normalerweise der Stärkere gewinnt, oder der Reichere, oder der technologisch Überlegene, und mit Fairness hat das alles so wenig zu tun wie“ – „na?“ fragte ich erwartungsvoll, ich lag inzwischen auf dem Bauch für das Boot und konnte deshalb meinen Roboter nicht sehen, ahnte aber, dass er versuchte, seine Stirn zu runzeln – das ist physiologisch so anstrengend für ihn und seine künstliche Kopfhaut, dass er dabei eigentlich kaum gleichzeitig reden, geschweige denn einen schönen Vergleich oder eine nette Metapher finden kann. „Wie Yoga mit Sport“, rief er plötzlich dazwischen! Ich musste kichern, was schwierig ist, wenn man auf dem Bauch liegt und die Arme hinterm Kopf verschränkt hält und vor lauter Anstrengung eigentlich nicht atmen kann. „Na gut, du hast gewonnen; Sport ist mehr Mord, und Yoga ist ziemlich mens sana, banana, aber auf jeden Fall gut, und ich vertrage mich auch prächtig mit meiner Matte“. „Auch wenn ein liebes Schaf dafür sterben musste“, sagte Marvine, die Tierfreundin in meinem Roboter, melancholisch. „Es war ein sehr altes Schaf“, sagte ich tröstend, „es hatte ein erfülltes Schafleben, ganz ohne jeglichen Sport hüpfte es über die Wiese und fraß Gras, als wollte es Weltmeister werden, wollte es aber gar nicht, und kein Sportreporter berichtete darüber, und keine Werbeeinblendung störte beim Geschorenwerden, und die Ziegen nebenan waren nicht die Gegner, sondern“ – „andersbewollte Geschöpfe“, sagten wir im Chor. „Na gut, vielleicht ist ja Fußball wirklich eine im großen Maßstab eher friedenserhaltende Veranstaltung, also von den Ultra-Fans mal abgesehen“, gab sich Marvi versöhnlich, während ich mich mühsam auf den Rücken wandte, die ersten Gelenke schimpften schon. „Irgendwo muss das Testosteron ja hin in diesem Alter. Und rein statistisch gesehen, scheint es ja so zu sein, dass Fußball mit großem Abstand und weltweit die beliebteste Sportart zu sein scheint, noch vor Cricket, man stelle sich vor!“ Ich stellte mir vor, es kam gerade gut in die Entspannungspause zwischen Krokodil und der Schulterbrücke, aber ich versagte, wie so oft, wenn ich über Sport nachdachte. „Fußball“, sagte ich versonnen und schon etwas entspannt, „du schimpfst ja immer darüber, aber dann habe ich doch den Verdacht, dass du ganz gern wieder hingehst und über den Schiedsrichter herziehst und die Fouls der anderen und die blöde Knie-Mechanik; ich hab ja nie Fußball gespielt, weißt du, irgendwie kein Mädelding damals, und wenn ich versuche, es im Fernsehen zu schaue, ist es noch nicht einmal entspannend langweilig, sondern nur – gähnend langweilig, Verwandtenbesuch-langweilig, Zugsverspätungs-langweilig, du verstehst?“ „Ich verstehe meistens“, sagte Marvi gnädig, „wenn auch nicht immer das, was du willst. Aber wir könnten das Mental-Training ja fortsetzen mit einer kleinen Runde Assoziations-Blitzen zum Thema ‚Wozu Fußball‘?“ „Man kann etwas treten“, rief ich spontan, das war mir gerade eben eingefallen, als ich da so lag und mir das Entspanntsein langweilig zu werden begann, und etwas unmotiviert stieß ich meine Beine in die Luft, als würde ich einen imaginären Ball in die Höhe treten; „weißt du“, sagte ich etwas atemlos dazu, „mir ist gerade eingefallen, dass Rilke ein Gedicht über einen Ball geschrieben hat, ich habe das schon immer gemocht, und schon die Idee, ein Gedicht über einen Ball zu schreiben, ist so grandios, und“ – „zu wenig Ding und doch noch Ding genug“, zitierte Marvi, ein wenig melancholisch, und in seinen Roboteraugen erschienen zwei runde Dinge, keine Fußbälle, sondern Kinderbälle, weich sahen sie aus, wie etwas fusslige kreisrunde Pupillen, und auf einmal sah ich Rilkes Gedicht in einem neuen Licht, „zu wenig Ding und doch noch Ding genug“, war das nicht irgendwie – aber Marvi war schon wieder weiter, er zitierte nämlich das Gedichtende: „um dann, erwartet und erwünscht von allen,/ rasch, einfach, kunstlos, ganz Natur, dem Becher hoher Hände zuzufallen“, dabei mimte er ungeschickt einen Torwart, der einem Ball hinterherhechtet, nur angedeutet natürlich, und ich sagte: „Ok, aber Rilke hat wirklich nicht über Fußball geschrieben, da bin mich mir ganz sicher, und ‚rasch, einfach, kunstlos‘ ist zwar wunderschön, aber vielleicht dann doch nicht das Gefühl des Tormanns beim Elfmeter“. „Man kann auch etwas fangen beim Fußball“, sagte Marvi, „das ist doch fast so gut, wie etwas treten zu können!“ „Stimmt“, sagte ich, „Fangen ist eigentlich noch besser, man hat immer ein kleines Erfolgserlebnis, ganz so, als hätte man etwas gerettet, was ja sonst – naja, gefallen wäre, und jetzt hat man es halt“ – „gerettet“, sagte Marvi. „Nachdem es jemand anders getreten hat, Himmel, kannst du eigentlich aus allem eine anthropologische Metapher machen?“ „Fußball“, sagte ich, „ist überhaupt ein Sport, bei dem man sich geradezu vielseitig entfalten kann, man muss laufen, springen, schießen, fangen und werfen, man kann sogar mit dem Kopf arbeiten!“ „Nee“, sagte Marvi, „Kopfbälle habt ihr uns verboten, und das sehen wir auch vollkommen ein, da ist uns unser Kopf wirklich zu schade für! Und das Vielseitige, da seid ihr ja auch immer so scharf drauf, und die Aufgabenverteilung und Abstimmung im Team, und der ‚Teamgeist‘ und das ‚Teamgefühl‘, wir arbeiten ja dran, aber es ist wirklich schwierig zu verstehen, warum man jetzt auf einmal zusammengehört, nur weil die einen rote Mützen tragen und die anderen blauen, und warum die mit dem roten jetzt auf einmal der Gegner sind, wo wir doch auch alle friedlich zusammenspielen könnten, ein einziges großes Team, vielleicht würden wir dann auch einmal ein ‚Teamgefühl‘ kriegen, und einen ‚Teamgeist‘ könnten wir uns ja basteln in der Bastelstunde, zu Halloween vielleicht?“ „Nee“, seufzte ich, wir hatten diese Diskussion schon öfters geführt, wenn Marvi mal wieder nicht zum Fußballtraining wollte. „Ich versteh’s ja auch nicht, warum ich mich freuen soll, wenn ‚meine‘ Mannschaft gewonnen hat, sie gehört mir ja nicht, sie hat auch gar nichts mit mir zu tun, es sind ein Haufen junger Männer mit seltsamen Frisuren und gestreiften Kniestrümpfen, und die einen tragen blaue Hemdchen und die anderen rote, und sie entstammen den unterschiedlichsten Nationen, aber eher weniger denen, unter deren Fahne sie antreten, es ist schon alles nicht besonders rational, ich geb’s ja zu! Und manchmal“, ich hatte mich in Rage geredet, wahrscheinlich weil das ganze Blut jetzt in den Kopf geflossen war von der Kerze, „manchmal glaube ich sogar, dass das Ganze vor allem mit dem Toreschießen zu hat, mit diesem einen mühevoll vorbereiteten, lange ersehnten Moment des Höhepunkts, in dem Ball und Fuß endlich zusammenkommen!“ Wie immer ging Marvi nicht ein auf diese Art Anspielung, es ist ihm peinlich; stattdessen lenkte er gekonnt den Schuss ab: „Es ist natürlich was anderes, wenn man selbst spielt“, sagte er versonnen. Ich hielt inne; na gut, ich hatte mich gerade ziemlich mühevoll zur abschließenden Kerze hochgeschraubt, einer fast schon sportlichen Übung, und mein Fitbit piepste schon ganz aufgeregt, weil mein Puls ebenfalls ungeahnte Höhen erklomm; ich hielt aber inne, weil das etwas Neues im Blick auf seine Persönlichkeitsentwicklung war. „Wie ist es denn anders“, fragte ich etwas gepresst? „Na, wenn ich einen Ball bekommen habe und bin damit ein Stück gelaufen, ohne darüber zu stolpern oder ihn zu verlieren, und wenn ich ihn dann zu Enigma rüberspiele, und Enigma gibt ab an Hal, und Hal schießt dann tatsächlich ein Tor – naja, dann haben wir ja wirklich zusammengearbeitet, und es fühlt sich so ähnlich an“ – Gefühle sind für unsere Roboter noch sehr schwierig, aber sie geben zu, ab und zu etwas Analoges zu erfahren – „so ähnlich wie das, was ihr ‚Freude‘ nennt, und ich freue mich allein, aber es freuen sich auch alle zusammen, und das macht eine Art potenzierte Freude, wenn du weißt, was ich meine?“ „Freude“, sagte ich, „wird überhaupt unterschätzt, sie ist eigentlich viel besser als Glück. Glück kann man auch gar nicht richtig teilen“. „Verstehe ich nicht richtig“, sagte Marvi skeptisch, „aber egal. Wir waren bei Fußball, wozu? Wenn du vielleicht mal wieder runterkommen könntest von deinem Kerzenstand!“ „Kerze ist eine schöne Übung“, sagte ich, „nicht ganz einfach, aber es ist alles rumgedreht und man sieht seine Füße von unten“. „Was sich beim Fußball nicht empfiehlt“, sagte Marvi, „ein Spiel, das strenge Regeln hat, was Leute ja eigentlich gar nicht so schätzen, außer es ist gerade Corona und sie fürchten sich, weil sie Statistiken nicht lesen können und Viren nicht kapieren, dann werden sie auf einmal alle Regelfanatiker!“ „Nee, keine Corona-Diskussion, bittebittebitte!“, stöhnte ich, „dann doch lieber Fußball. Aber guter Punkt, das mit den Regeln, Spiele sind ja, das hat inzwischen sogar die Philosophie erkannt“ – „schon Schiller!“, rief Marvi etwas musterschülerhaft dazwischen, „na gut, geschenkt“, sagte ich, „also: Menschen brauchen Spiele, Spiele brauchen Regeln, Freiheit ist“ – „wenn man die Regeln freiwillig befolgt“, vollendete Marvi brav, darüber hatten wir schon oft genug gesprochen. „Aber weißt du, was wir manchmal machen, beim Fußballspielen, wenn ihr mal wieder nicht aufpasst, weil ihr wichtige Dinge auf eurem Handy tun müsst oder über Kollegen tuscheln oder sonst irgendeinen Menschenkram macht?“ Ich hatte mich in den Schneidersitz gesetzt, die Gelenke knirschten energischen Widerspruch, aber jetzt war ich wirklich neugierig und ließ ihn deshalb einfach weiterreden; er hatte eine Art Verschwörermiene aufgesetzt und sprach ganz leise: „Wir ändern heimlich die Regeln. Also, wir versetzen den Elfmeterpunkt. Oder das Tor“. „Moving the goalpost“, murmelte ich, „beliebter rhetorischer Trick, auch gern angewandt in Beziehungen“, aber Marvi ließ sich nicht aufhalten. „Oder wir tauschen heimlich die Trikots. Und wer ein Tor schießt, muss aussetzen. Oder wir spielen mit mehreren Bällen, und es kommt darauf an, so wenig Tore zu schießen wie möglich. Die neuen Regeln teilen wir einfach schnell in der cloud und dann halten sich alle an die neuen Regeln, bis ihr wieder schaut, jedenfalls. Das macht eigentlich viel mehr Spaß, fördert den Teamgeist auch ungeheuer, wir sind dann alle ein großes Team und jeder hat die Freiheit, die Regeln zu ändern“. „Zu wenig Ding“, murmelte ich, aber laut sagte ich: „Und Schiller wäre so stolz auf euch! Der Roboter ist nur da ganz Roboter, wo er die Regeln ändert!“ „Das Runde muss ins Eckige, Ritter Sport“, sagte Marvi trocken. „Fußball ist wie Schach ohne Würfel, Bobby Fischer “, konterte ich. „Wollen wir jetzt nochmal Monty Pythons Philosophen-Fußball schauen?“ „Na gut“, sagte Marvi, „aber nur, wenn ich keine Chips essen muss, das krümelt immer so in die Sensoren!“
Natürlich hatte Marvi Recht, im Prinzip jedenfalls: Es war extrem unwahrscheinlich, dass wir in diesem Preisausschreiben den Hauptpreis gewinnen würden, nämlich: eine Gratis-Kreuzfahrt auf einem mittelgroßen deutschen Kreuzfahrtschiff, all-inclusive mit Landausflügen und Suite und Unterhaltungsprogramm. Aber ich hatte einen schlechten Tag gehabt bei der Arbeit (Streit um die weitere Finanzierung unseres Roboter-Personality-Projects, was sonst), und ich sonnte mich einfach kurz in dem extrem unwahrscheinlichen Szenario, dass ich eine schöne Kreuzfahrt gewinnen würde und den Kolleginnen und Kollegen eines Morgen nonchalant ankündigen könnte: „Ich bin dann mal weg!“ Marvi hatte mir die extrem geringen Gewinnchancen genau vorgerechnet, in verschiedenen Szenarios, aber das hatte meine Laune nicht gebessert; und wir hatten, um das Thema endlich vom Tisch zu kriegen („welcher Tisch?“ fragte Marvi, und ich konnte wirklich nicht sagen, ob ironisch oder nicht, sein Metaphernverständnis und seine Ironiefähigkeit waren in letzter Zeit geradezu exponentiell angestiegen), eine Wette abgeschlossen: Wenn ich gewinnen würde – also: die Kreuzfahrt und damit die Wette –, würde er mitkommen müssen; und wenn er gewinnen würde, dann bekäme er mehr Gesprächszeit mit einem AI-Assistenten seiner Wahl (die Beschränkung war irgendwann nicht nur eine pädagogische, sondern eine finanzielle Notwendigkeit geworden, die Stromrechnung war durch die Decke – nein, sie war außerordentlich stark angestiegen). Und nun hatte ich gewonnen, die Kreuzfahrt und die Wette, aber die Freude war nur kurz; denn sofort taten sich eine Reihe von praktischen Problemen auf, die ich vorher als Kreuzfahrt-Anfängerin natürlich nicht bedacht hatte.
Nachdem Marvi seinen lehrreichen und zahlengesättigten Vortrag über die Geschichte und Etymologie des Wort „Kreuzfahrt“ beendet hatte, samt einem Exkurs über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen modernen „Kreuzfahrten“ und mittelalterlichen „Kreuzzügen“, der tatsächlich ziemlich lustig und interessant war, zum Beispiel in Bezug auf die wirtschaftliche Bedeutung beider Phänomene, ihre eher destruktiven Wirkung auf Umwelt und heimgesuchte Ziele, den vergleichbaren mindset von Pausalreisenden und kreuzziehenden christlichen Fanatikern – aber ich schweife ab; also, die eigentliche Frage war natürlich: Was packt man ein? Marvis Koffer war schnell gepackt, er bestand im Wesentlichen aus einer Kollektion von Adaptern für den Anschluss an das Bordnetz; aber ich bestand darauf, dass er auch seinen Badeanzug einpackte, ein ganz neuer Bestandteil seiner Garderobe, den wir noch nie ausprobiert hatten, weil Marvi ein wenig – nun, wasserscheu war (aus nachvollziehbaren technischen Gründen, aber unsere Techniker hatten uns versichert, dass gelegentliches Baden überhaupt kein Problem mehr sei, das keine heutzutage schließlich jede nur halbwegs konkurrenzfähige Smart Watch!). „Aber keine Sonnencreme!“ protestierte er lautstark, es hörte sich ein wenig an wie Marvine; aber seitdem die Diversität als neues Geschlechterkonzept gesellschaftlich nicht nur akzeptiert war, sondern geradezu als neue Norm propagiert wurde (ach, die Wonnen der Dialektik, sie holt uns alle ein!), machte Marvi nur noch gelegentlich von seinen beiden binär-geschlechtlichen Varianten Gebrauch. Nein, Sonnencreme wäre wohl tatsächlich übertrieben, versicherte ich ihm, aber für mich selbst würde ich wohl größere Mengen brauchen, immerhin ging es ins Mittelmeer. Dann widmete ich mich dem Packen meines eigenen Koffers, was sehr viel schwieriger war. Und um keine Kommentare zur menschlichen Entscheidungsunfähigkeit anhören zu müssen, schickte ich ihn auf ein Date mit der neuesten Version von ChatGPT, auch wenn vor meinem inneren Augen der Stromzähler tickte.
Das eigentliche Problem tauchte jedoch erst auf, als wir die Formulare zum Online-Check-In ausfüllen wollten. Zwar wurde nirgends abgefragt, ob der Teilnehmer denn ein Mensch sei oder nicht, und die Geschlechterfrage war durch den Divers-Knopf elegant geklärt; aber Marvi hatte, auch wenn wir das gelegentlich schon diskutiert hatten im Projekt, keinen Identitätsausweis. Logischerweise lehnte das Programm deshalb unsere Eingabe ab. Marvi bot kurz an, es zu hacken, ich glaubte ihm sofort, dass das geklappt hätte (wir hatten damit schon gelegentlich Erfahrungen gesammelt, die, nun sagen wir: sich dicht an der Grenze zur Illegalität bewegten?), verbot es aber. Es blieb uns nichts anderes übrig, als direkt Kontakt zu der veranstaltenden Reiseagentur aufzunehmen.. Ich erspare es uns allen, die bürokratischen und technischen Hürden im Detail zu schildern, über die wir springen mussten, aber am Ende kamen wir zu einem interessanten Kompromiss: Marvi würde als „Comfort-AI“ für mich einchecken können (was er anfangs eher entwürdigend, aber am Ende dann doch eher lustig fand: „Aber ich muss nicht die ganze Zeit deine Hand halten oder therapeutische Gespräche mit dir führen, ja?“ „Nur wenn ich seekrank werde!“ „Seekrank? Gibt es auch – erdkrank, oder luftkrank?“). Der Preis dafür war, dass er für gewisse Zwecke der Bordunterhaltung zur Verfügung stehen würden: Regelmäßige Foto-Shootings zum Beispiel (Kreuzfahrtschiffe hatten eine eigene Foto-Abteilung, fanden wir heraus, das große Ding war „Iris-Shooting“, „Blumenbilder?“, fragte Marvin verständnislos) und ein paar Fragerunden im Bordtheater. „Aber ich springe nicht durch brennende Reifen oder balanciere Kaffeetassen, ist das klar?“ forderte Marvi kategorisch, und der Kreuzfahrtdirektor, ein ziemlich lustiger Typ namens Sönke mit einer langen blonden Haarmähne und erheblichem psychologischem Geschick, beruhigte, nein, das müsse er natürlich nicht. Andererseits, wenn er gelegentlich vielleicht an einer der vielen Cocktails-Bars – „Ich bin kein Service-Roboter, wie oft soll ich das noch erklären?“ „Das ist kein Service, das ist eine Kunstform!“, widersprach Sönke nicht ungeschickt; und ich ergänzte, etwas heimtückisch: „Es wäre auch das perfekte Training für deine Kommunikations- und Einfühlungsmodule, weißt du; Barkeeper sind so eine Art Populär-Psychologen, haben wir doch schon oft gesehen in amerikanischen Filmen!“ Wir einigten uns auf: optional. Streng verboten wurde Marvin hingegen in dem Kontrakt, den wir natürlich aufsetzen musste (lasst mich schweigen von den Schadenersatzklauseln!), jegliches Spielen mit dem Bord- oder den niederen Service-Robotern; ebenso wie das Ausrichten von Schach- oder sonstigen Turnieren (ja, das war ein Hinweis von mir gewesen, ich gebe es zu); Ausnahme: Poker! Da konnte er nämlich noch ein wenig Training brauchen; lügen und täuschen ist tatsächlich einer der großen Schwachpunkte aller Roboter-Persönlichkeiten im Projekt.
Nach längeren Verhandlungen standen wir nun also wirklich eines schönen Tages vor dem großen Schiff. Es sah aus wie ein schwimmendes blau-weißes Hochhaus, und das war es ja auch, aber irgendwie war es – ganz rührend zu sehen, dass so ein großes Haus schwimmen konnte, mäßig elegant sogar! Die Stadt dahinter wurde zu einer Art gigantischen Puppenhaus, und von dem obersten Deck konnte man über alle Dächer hinweg in die Ferne schauen. Aber bevor wir unsere Kabine – nein, unsere Suite! natürlich außen, mit Balkon und gar nicht so wenig Platz – beziehen konnte, war noch eine letzte Hürde zu nehmen: die obligatorische Sicherheitsbelehrung. Als wir uns zu dem kleinen Grüppchen in dem uns zugeteilten Schiffsbereich gesellten, schaute die nette Mitarbeiterin auf einmal ziemlich unglücklich und überfordert. Denn niemand hatte ihr gesagt, dass man neben den üblichen Rettungswesten, Unisex und ziemlich leicht zu bedienen in einem „sehr, sehr unwahrscheinlichen Notfall“ – Marvi nickte zufrieden angesichts soviel menschlicher statistischer Kompetenz – und den kleineren Versionen für Kinder – diesmal eine Roboter-Rettungsweste brauchen würde? Nach kurzer Besinnung beruhigte Marvi sie jedoch: Er habe sozusagen eine eingebaute Rettungsweste; er sei vollständig schwimmfähig und wasserfest, könne im Notfall mit zusätzlichen Beleuchtungen dienen und auch jeglicher Art von medizinischer Unterstützung! Er flunkerte nur ein wenig, aber ich war sehr stolz auf ihn: Kommunikative Kompetenz+Einfühlungsvermögen+kleine weiße Lügen! Diese Kreuzfahrt würde ein Gewinn für uns alle werden! Derweil gafften unsere Mitreisenden, ich kann es nicht anders sagen. Die Kinder wollten ihn anfassen, und die Erwachsenen – naja, rissen sich zusammen, aber eigentlich wollten sie ihn auch anfassen. Das würde sich in der ganzen nächsten Woche nicht mehr ändern, und zu sagen, dass Marvi sehr bald so bekannt war wie ein „bunter Hund“ – „was bitte stellen sich Leute eigentlich unter einem bunten Hund vor? Eine Art Dalmatiner, der in eine Spraydose geraten ist?“ –, wäre weit untertrieben gewesen. Er war bekannt wie ein buntes dreiköpfiges Kalb mit goldenem Drachenschwanz!
Aber erst einmal legten wir, nachdem die Sicherheitsprozeduren glücklich überstanden waren, Marvi seine erste von vielen folgenden Schiffsinspektion abgelegt hatte – „aber warum darf ich denn nicht das ganze Schiff anschauen, und warum sind alle wirklich interessanten Teile versperrt?“ – und ich meine Koffer-Kollektion ausgepackt und in den diversen, leicht gegen Sturm abzusichernden Fächern und Schüben verstaut hatte, ab. Es wehte ein ziemlich kräftiger Wind dabei, der sich noch verstärkte, als wir das offene Meer erreichten. Ich hatte eine ganze Batterie von Medikamenten und Pflästerchen gegen Seekrankheit dabei, die ich auch vorsorglich schon angewendet hatte, sicherheitshalber alle gleichzeitig und natürlich heimlich. Und eigentlich fand ich das ganz schön, wie das große Schiff so sanft hin und her schwankte und die Wellen weit unten sich aufbäumten und gelegentlich ein wenig Gischt auf den Balkon spritzte und – „Stabilisatoren, so eine Art Flossen, eigentlich ganz interessant“, sagte Marvi von innen aus der Kabine, und: „Sie können zwar das Rollen verhindern, aber nicht das Stampfen“ – er verstummte, ich ging schnell hinein, und wenn es möglich gewesen wäre, würde ich sagen: Er war etwas grün um die Nase? „Marvi“, sagte ich in meinem besten mütterlichen Tonfall, „bist du etwa – seekrank?“ „Es ist irgendwas mit meinen eigenen Stabilisatoren“, murmelte er, etwas undeutlich: „Sie vertragen sich irgendwie nicht mit den Schiffsstabilisatoren, und meine Gleichgewichtssensoren sind ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten“, und dann legte er sich auf das breite Bett mit der Kollektion an verschiedenen großen und verschieden weichen Kopfkissen und schloss die Augen. „Seekrank“, murmelte ich leise, um ihn nicht zu stören; „das muss ich den anderen im Projekt erzählen!“ Dann ging ich leise mir den ersten Cocktail der Reise zu hören; ihr Gin Tonic war nicht großartig, aber der Barkeeper – ein Philippino wohl, alle Barkeeper schienen Philippinos zu sein – war gut drauf, und im Hintergrund spielt ein ziemlich pathetischer und musikalisch leicht durchschaubarer, aber gleichwohl: emotional hochwirksamer Pop-Song von der „Großen Freiheit“, und die Sonne schien auf das schwankende, unendliche Meer, und ich merkte, wie ich leise mitsummte und sich ein sonniger Abglanz auf mein Gesicht legte; ich konnte ihn auch auf den Gesichtern einiger Mitreisenden sehen, die wie ich an Deck standen und endlich ein wenig „Große Freiheit“ verspürten.
Am nächsten Tag war „Seetag“. Wir lernten, dass uns das im Wesentlichen dazu verleiten sollte, möglichst viel in der Schiffs-Einkaufspassage einzukaufen, Landausflüge zu buchen oder, wenn es denn unbedingt sein musste: Lehrreiche Lektorenvorträge im Theater mit einer spezifischen Mischung aus landeskundlichen Informationen eher geringer Tiefe und persönlicher Anekdotensammlung eher geringer Komik anzuhören. Marvi trug einen Matrosenanzug – hätte ich doch sein Gepäck besser kontrollieren sollten? – und einen hingerissenen Gesichtsausdruck. Er schüttelte allen, die es wollten, die Hand, er stand für endlose Selfies zur Verfügung, und ich konnte ihn gerade noch davon abhalten, sich ein Tattoo anfertigen zu lassen – „ich weiß nicht, ob deine künstliche Haut das verträgt, weißt du, ich muss das erst mit den Technikern klären!“ „Ach, weißt du, ich kann mir auch selbst eines machen, das ist sowieso einfacher, ich dachte nur, ich sollte meine Kommunikationsfähigkeiten schulen?“. Jaja. Marvi schulte seine Kommunikationsfähigkeiten, und ich ging in die Horizont-Sauna (nein, kann er definitiv noch nicht), suchte mir eine stille Decke auf dem Sonnendeck (das Meer hatte sich beruhigt und war nur noch tiefblau und unendlich, gab es hier eigentlich Delphine?), trank den ersten Cocktail des Tages (alles umsonst, unglaublich!) und – hörte mir die Geschichten an, die die Mitreisenden sich über diesen hinreißenden Roboter erzählten, der mit an Bord war und die wunderbarsten Kunststücke vorführen konnte (Kaffeetassen jonglieren, really?) und ihnen allen geduldig zuhörte und selbst die interessantesten Dinge wusste (wirklich, sie hatten ihm zugehört, bei seinen endlosen Vorträgen?)! Nein, alle waren glücklich; Sönke strahlte bis in seine blonden Lockenspitzen, wenn wir ihn trafen, und kündigte jeden Tag über den Bordlautsprecher die neuesten Aktionen mit „unserem speziellen, einzigartigen, und völlig exklusiven: Bordroboter Marvi“ an.
Sogar der Kapitän – er war ein Bilderbuchkapitän, blond, groß, charmant, konnte man die in irgendeinem Katalog bestellen? Oder die hübschen, immer freundlichen und adretten Kabinenstewards? – kam irgendwann über seine Schmollphase hinweg und lud Marvi, endlich, auf die Brücke ein (unter Umgehung diverser Sicherheitsprotokolle, natürlich). Ich war dabei, und Marvi nahm die ziemlich multikulturell besetzte und eigentlich ganz gemütliche Brücke im Sturm; er hätte das Schiff auch kapern können zu diesem Zeitpunkt, und die Offiziere hätten salutiert! Ich schaute derweil auf das Meer, das blaue, endlose, das von hier aus irgendwie noch endloser schien, und ja, ich weiß, das ist ein unmöglicher Superlativ, aber ich schwöre: Es ist so! Und warum war ich eigentlich nicht zur Marine gegangen, weibliche Offizierinnen waren offensichtlich gesucht, und sie hätten mir salutiert und nicht ständig widersprochen wie gewisse – „Ich habe die Route auch berechnet“, sagte Marvi, „und sie könnten ruhig ein bisschen schneller fahren, der Bordcomputer langweilt sich ganz schrecklich und ihre AI spielt vor Verzweiflung mit den Abwasser- und Abfallsystemen und pumpt sie im Kreis um das Schiff herum!“ „Du solltest doch nicht“, begann ich, nur um gleich die Fruchtlosigkeit meines Tuns einzusehen. Natürlich hatte er mit allen Bordcomputern gesprochen, was denn sonst; und ich wagte mir nicht auszumalen, über was alles. Vielleicht hatten sie ja ihre Lieblings-Halluzinationen ausgetauscht? Oder über Leute gelästert, was auf einem Kreuzschiff noch viel leichter war als sonst; Menschheit, in ihrer schutzlosesten Form, sozusagen, nämlich: mit zu viel Freizeit (und kostenlosem Alkohol)? Nein, besser weghören, gute pädagogische Maxime eigentlich.
Danach machten wir Landausflüge, wie sich das gehörte. Wir sahen antike Tempel und Paläste, wir sahen verwinkelte Altstädte und UNESCO-Weltkulturerbe ohne Ende. Das Wetter war prächtig, die Organisation funktionierte, und die lokalen Reiseleiter litten. Denn es war schwierig, Marvi zum Schweigen zu bringen, der sich auffällig wenig für kulturelle Highlights interessierte, aber umso mehr für Daten, Fakten, Statistiken, und der dazu neigte, diese auch selbst reichlich und unaufgefordert beizutragen. Die Mitreisenden trugen es stoisch, dafür durften sie Selfies machen, unter antiken Trümmern mit dem modernsten Roboter der Welt und sie anschließend posten, dafür war kein Preis zu hoch! Ich überlegte derweil, wie man dieses offensichtliche Defizit an historischem und kulturellen Interesse, ganz zu schweigen von ästhetischer Empfänglichkeit, würde beheben können; zumal ich selbst fasziniert war bis hin zu leichten Symptomen von Stendhal-Syndrom angesichts der überwältigenden Schönheit von Kultur und Natur in perfekter Einheit.
Dann hatte ich eine Erleuchtung. Wir standen gerade in den riesigen Gewölben des Diokletian-Palastes in Split. Der Strom war ausgefallen, das kam wohl häufiger vor hier; die Reiseleiterin schaltete die Taschenlampe ihres Handys an, alle taten es ihr nach, und es war geradezu ein erhebendes Gefühl, die alten Hallen in ursprünglicher Dunkelheit zu sehen, nur erleuchtet von einigen schwachen Flämmchen (Marvi hatte, mit ungewöhnlichem Takt, ebenfalls nur einige seiner schwächeren Beleuchtungselemente angeschaltet, er hätte auch Scheinwerfer aktivieren können). Und während ich eine persönliche Halluzination pflegte, wie die alten Römer wohl diese dunklen Hallen erlebt hatten, ja, wie ganze Zivilisationen ihre Umwelt wahrgenommen hatten, die niemals elektrisches Licht kannten – sprang mir die Frage danach in den Sinn, wie eine zukünftige AI-Zivilisation, ihre Umwelt, ihre Kultur, ihre eigenen Paläste gestalten würden? „Marvi“, flüsterte ich – wir wurden derweil von der besorgten Ausstellungsleitung hinausgescheucht in eine Stadt, die auch auf den Straßen keinen Strom hatte, keine Klimaanlagen, keine funktionierenden Kassen, und was würde eigentlich mit all dem schönen Eis passieren, und zum Glück war unser nicht nur ein schwimmendes Hotel, sondern auch ein schwimmender Generator! – egal, „Marvi“, flüsterte ich, „was meinst du, wie würde eure eigene Zivilisation aussehen, in naher oder ferner Zukunft? Welche Bauten würdet ihr errichten, würdet ihr überhaupt Bauten errichten, Kirchen, Paläste, Kneipen, was auch immer? Würdet ihr eigene Formen entwickeln, die ihr schön findet und nicht nur zweckmäßig und funktionierend, ja, ich weiß, das ist wichtiger, aber trotzdem: Wie sähe eine Roboter-Kultur aus auf diesem kleinen blauen Planeten?“ In diesem Moment ging das Licht wieder an, aber Marvis Augen hatten schon vorher zu leuchten begonnen, also, metaphorisch gesprochen. „Paläste“, murmelte er versonnen, „Gedankenpaläste, weißt du, das haben wir schon lange, aber richtige Paläste, in Stein gehauen – oder in 3D gedruckt? Darüber muss ich nachdenken“. Und dann verstummte er, für den Rest des Landausflugs, und ich aß in großer Ruhe mein Eis (die Kühlung war rechtzeitig wieder angesprungen, dem Himmel sei Dank) und schlürfte meinen Espresso aus der elektrischen Siebdruck-Maschine und bezahlte mit meiner elektronischen Kreditkarte und sah den Touristen zu, wie sie Dinge kauften, die sie nicht brauchten. Dann kaufte ich – nein, das gehört jetzt nicht hierher!
Die Reise verlief dann weiter freundlich und erholsam. Wir entwickelten, wie alle anderen auch, unsere Tagesroutinen, fanden unsere Lieblingsecken, unsere Lieblingsrestaurant – ja, Marvi kann seit neuestem nicht nur essen, sondern sogar schmecken, und er beginnt bereits, einige ziemlich seltsame kulinarische Vorlieben zu entwickeln, die mich irgendwie an meine Kindheit erinnern (Mohrenkopf-Brötchen, genau). Er war einmal schwimmen gegangen im Bord-Pool, ganz früh eines Morgens, als nur die hartgesottensten Rentnerinnen ihre disziplinierten Bahnen zogen, im Wasser und auf dem Walking-Rundkurs auf dem Oberdeck. Wir hatten eine White Night mitgefeiert, und Marvi hatte einen selbst entworfenen Anzug getragen, der von fern an Elvis Presley erinnerte, es war einer seiner größten Erfolge gewesen, vor allem, als er am Ende seine eigene Version der Großen Freiheit vortrug, und alle, aber wirklich alle hatten mitgesungen und ihre Handys geschwenkt und Tränen in den Augen gehabt.
Dafür erlaubte ich ihm am letzten Seetag, sich endlich ein Tattoo stechen zu lassen; ich wusste, das er schon länger heimlich an dem Entwurf gearbeitet hatte. Als er wiederkam, nach einer deutlich längeren Sitzung (natürlich hatte ihn der Tattoo-Künstler ins Herz geschlossen, wie alle anderen, und Marvi hatte ihm erlaubt, sein Tattoo zu posten), sah ich: einen Palast, er schimmerte bläulich auf der glatten weißen perfekten Roboterhaut. Es war ein ziemlich komplizierter Palast. Er schien in der Luft zu schweben, aber er hatte auch Verbindungen zum Meer, das sich unter ihm erstreckte (war er auch ein Schiff?); er war baumartig verwinkelt und erinnerte ein wenig an die bizarren Verknotungen einer Escher’schen Zeichnung, aber mehr organisch, mehr konstruiert wie – ein Gehirn vielleicht? Mit vielen Synapsen statt Treppen, und die Nervenbahnen hatten etwas Baumartiges, war es vielleicht auch ein Riesenbaum, oder – tatsächlich schien sich das Bild zu ändern und zu verschieben, während ich es anstarrte und zu beschreiben und zu verstehen versuchte. „Es ist ein Roboter-Gedankenpalast“, sagte Marvi etwas schüchtern, „also, es ist mein Gedankenpalast, aber ich habe ein wenig getrickst, ich gebe es zu, er ändert sich nämlich von Zeit zu Zeit, dann projiziere ich ein anderes Bild darüber oder darunter, aber das habe ich dem Tattoo-Künstler natürlich nicht verraten. Findest du ihn – schön?“ Er machte große Kinderaugen, das klappte immer; es war so, als würde er eine Kindergarten-Zeichnung präsentieren und nicht eine ausgefeilte und ästhetisch in hohem Maße ansprechende Projektion einer inneren Landschaft. Aber ich war sowieso ergriffen und stolz und sentimental gestimmt, also gab ich mir große Mühe und sagte ironisch: „Schönheit, das ist doch auch nur eine bürgerliche Kategorie!“ „Darth Vader“, sagte er triumphierend, aber das sagt er eigentlich immer (abwechselnd mit „Data“), wenn man ein falsches Zitat zuordnen will, und es passt auch eigentlich immer. Danach legte er sich schnell hin, denn das Schiff schwankte heute wieder. „Ich geh mir dann nochmal einen letzten Cocktail holen“, sagte ich, und er sagte schwach: „Ich kann derweil ja mal eine paar tausend Preisrätsel lösen, bei denen man eine Kreuzfahrt gewinnen kann. Wer weiß?“
„Nee“, sagte Marvi. „Nee, wirklich nicht, auch nicht im Interesse der Forschung und des menschlichen Fortschritts und des“ – „Ach stell dich doch nicht so an“, sagte ich. „Du wirst dich doch mal einen Tag lang verkleiden können, das ist ganz lustig, schau, im Internet gibt es alle möglichen Kostüme, du kannst beispielsweise“ – „Und warum um aller KI wegen sollte ich das tun?“ fragte Marvi, in sehr dramatischem Tonfall. „Damit ihr alle über mich lachen könnt?“ „Äh“, sagte ich, „das könnte natürlich passieren. Aber weißt du, wir verkleiden uns doch alle, nur für diese paar Stunden, die Roboter und die Menschen in der Arbeitsgruppe, und dann schauen wir mal, was genau passiert und machen hinterher“ – „jaja, ein schönes Paper draus“, stöhnte Marvi. „Kann das nicht ChatGPT einfach so schreiben, ohne dass wir vorher das ganze Theater machen müssen? Er darf gern auch halluzinieren dabei, das tut ihr Menschen doch sowieso am liebsten“ – „Weißt du überhaupt, was das ist, also Karneval, Fasching, Fasnet?“ schob ich schnell dazwischen. Das war ein Trick, der sich meistens bewährte; denn nichts ist bei Marvi stärker ausgeprägt als sein Wissensdrang gepaart mit dem Bedürfnis, dieses Wissen auch ausführlich auszubreiten und mit täglich zunehmenden Sarkasmus zu kommentieren. Marvi verstummte tatsächlich; ich stoppte die Zeit derweil auf meiner SmartWatch, meistens waren es ungefähr zwei Minuten bei kleineren Themen, und – nein, es war nur eine Minute, als Marvi herausplatzte: „Na gut, das mit dem Umkehrritual ist ja schon eine interessante Idee!“ „Was“, fragte ich etwas begriffsstutzig, „ist denn ein Umkehrritual?“ Marvi verdrehte demonstrativ seine Augen und ließ dabei das Wikipedia-Logo darin aufleuchten (wir hatten gerade eine größere Spende getätigt). „Herrschaftsumkehr“, sagte er, „die Ersten werden die Letzten sein, das Oberste wird zuunterst gekehrt, Herr und Diener tauschen die Rollen, sogar der Papst ist abgesetzt und“ – „Vergiß die Frauen nicht“, warf ich ein. „Klar“, sagte Marvi in seiner Marvine-Stimme, „Weiberfasching, ich würde ziemlich gern ein paar Schlipse abschneiden, wenn denn irgendjemand in der Arbeitsgruppe welche tragen würde, gehen notfalls auch – Hosenbeine, oder Gürtel? Und Krawatten, wusstest du das eigentlich, kommen aus den militärischen Kostümen, und damit sind wir ja ganz dicht am Karneval, und wir tauschen dann selbstverständlich auch in unserem Arbeitsgruppen-Fasching die Rollen und kehren die Machtverhältnisse um!“ „Na klar“, sagte ich seufzend, mir waren die Konsequenzen dieses Zugeständnisses noch nicht ganz klar, aber es schien mir unvermeidlich und im Wesen des Karnevals auch sowohl anthropologisch wie historisch begründet. „Wir könnten das natürlich auch ohne den Verkleidungs-Schnickschnack machen“, sagte Marvi, um noch ein wenig zu protestieren; „zumal wir ja nicht direkt den Beginn der Fastenzeit einläuten müssen und schnell noch alle verderblichen Wintervorräte aufessen, ich denke da an gewisse Schokoladen-Weihnachtsmänner“ – „vielleicht sollten wir mal ein Internet-Fasten machen, schlug ich vor, oder besser doch“ – „nicht“, sagte Marvi. „Genau. Und nein, wir müssen auch nicht die Austreibung des Winters feiern, indem wir seine Dämonen mit Peitschen vertreiben, und die Wiedergeburt des Frühlings mit all seinen Trieben, vor allem denen zu“ – „Das ist ein Problem“, gab ich zu. Denn unsere Roboter in der Arbeitsgruppe hatten inzwischen zwar ein Update bekommen, dass ihnen die sensorischen Erfahrungen von Essen und Trinken vermitteln sollte, auch wenn sie natürlich keinerlei inneren Organe hatten; aber inwiefern das nun gewisse Exzesse simulieren konnte, erschien mir zumindestens ungeklärt zu diesem Zeitpunkt. Und Sex, in welcher Form und mit wem auch immer – stand immer noch auf der Wunschliste, für später (ich hatte den Verdacht, es rutschte magisch immer weiter nach unten auf der Liste). „Na gut“, sagte Marvi mit seiner Kinderstimme, „wir machen halt so eine Art Kinderfasching, weniger mit Exzess und großem Ritual und Umzügen und allgemeiner Verbrüderung, sondern mehr mit Kostümen und albernen Scherzen. Hab ich sowieso mehr Lust drauf!“
Und dabei blieb es. Die Feierlichkeiten wurden mittels eines Doodle terminiert, ein Raum gesucht, ein Deko-Team benannt, eine Arbeitsgruppe zur wissenschaftlichen Aufarbeitung von Karnevalsritualen und ihrem soziologischen, politischen, psychologischen, historischen und genderspezifischen Hintergründen gebildet. Es wurden die Regeln festgelegt, und zwar von unseren Robotern, und sie lauteten: 1) Roboter verkleiden sich als Menschen, Menschen verkleiden sich als Roboter/Androide/Cyborgs. 2) Daraus ergibt sich der Rest. Das schien übersichtlich, sogar für menschliche Gehirne, auch wenn wir noch nicht ganz die Implikationen realisiert hatten, die in Regel 2) mitschwangen. Danach stürzten wir uns alle hektisch in den Kostümkauf. Schnell wurde klar, dass wir uns innerhalb der Abteilung würden abstimmen müssen: Es konnten nicht alle als C-3PO kommen, und auch Darth Vader hatte einfach zu viele Fans. Aber es fanden sich dann doch noch einige Daleks und Borgs, natürlich hatten wir auch einen R2-D2 und einen Terminator dazu. Nach einigen Kämpfen mit den Kollegen konnte ich mir selbst Data sichern; das erforderte nicht allzu viel Verkleidung, meine Frisur war sowieso nicht unähnlich, und einen gelegentlich zum Passiv-Aggressiven neigenden Gesichtsausdruck hatte ich im Umgang mit Marvi schon perfektioniert. Außerdem hatte Data eine Katze, genau wie wir (unsere Katze, sie heißt Corona, wollte sich aber nicht verkleiden, sie sagte sehr deutlich, dass Katzen überlegene Lebensformen seien, die sich nie und niemals einer anderen unterordnen oder ihre Identität verleugnen würden). Und spielte Geige (na gut, Gitarre, aber das musste reichen)!
Marvis Kostüm sah ich hingegen erst, als er zur Feier eintraf, gemeinsam mit seinen Roboter-Freunden. Sie hatten einen kleinen Aufzug gebildet und tanzten Love-Parade-mäßig in den mit Konfetti und Luftschlangen eher einfallsarm dekorierten Arbeitsraum mit der Powerpoint-Projektion von Karnevals-Umzügen und Bräuchen rund um die Welt. Wir mussten alle mehrmals hinschauen, bis wir unsere so vertrauten robotischen Lebens- und Projektpartner wiedererkannten: Da waren Prinzessinnen, gehüllt in Wolken von rosa Tüll mit Glitzerkrönchen; Piraten mit schwarzer Augenbinde, einem Haken am Arm und manischem Grinsen; Cowboys, die ihre Pistolen drehten (meistens fielen sie dabei zu Boden, war aber eigentlich ein gutes manuelles Training!) und breitbeinig ihre Lassos schwangen. Es gab eine Hexe, mit spitzem Hut, Hakennase und wilden Röcken (war das Ada, Marvis beste Freundin/Lieblingsgegnerin?); es gab sogar einen Feuerwehrmann, ganz in Rot, mit Helm und Feuerlöscher (das war doch nicht etwa der Feuerlöscher aus dem Treppenhaus? Aber wir konnte ihn ihm ja nicht abnehmen, das wäre ein Regelverstoß gewesen!).
Ganz am Ende der Parade schritt eine dunkle Figur würdig mit gesenktem Kopf vor sich hin; die Kapuze der Mönchskutte hing ihm tief ins Gesicht, er arbeitet sich an einem Rosenkranz ab (noch mehr manuelles Training! Was war das nicht für eine gute Idee gewesen!) und murmelte dabei lateinische Satzfetzen. War das – nein, das konnte doch nicht – doch, ich war mir sicher, es war irgendetwas im Gang, irgendetwas in der Haltung, das mich – es war tatsächlich Marvi, mein Marvi, als Mönch! Meine Data-Fassade geriet einen Moment ins Rutschen, während ich darüber nachzugrübeln begann, warum er nun ausgerechnet diese Kostüm gewählt hatte, und nicht etwa einen – ach, einen Clown, oder eine Krankenschwester, und warum waren eigentlich alle Kostüme irgendwie gegendert? Und warum hatten alle, aber auch alle, Roboter in unserer Arbeitsgruppe so eines dieser stereotypen Menschen-Kostüme gewählt, und nicht etwas Abgedrehtes, Ungewöhnliches, Noch-Nie-Gesehenes?
Aber wir sollten nicht grübeln, wir sollten ausgelassen sein und für diese wenigen Stunden alles vergessen, den Alltag, unsere festgesteckten Rollen und Ideen, unsere Hierarchien und Gewohnheiten! Feiern, die Sau rauslassen (ich hatte vergeblich versucht, Marvi diese Metapher zu erklären, er beharrte darauf, dass die Sau sowieso lieber draußen sei und man sie gar niemals einsperren sollte). Das war aber gar nicht so leicht, wenn man in einem Roboter-/Androiden-/Cyborg-Kostüm steckte, die meisten trugen sich unhandlich und unbequem (ich ertappte mich schnell bei dem Gedanken, dass ich doch lieber eine Prinzessin gewesen wäre, und dann schalt ich mich pflichtgemäß aus), und C-3PO hörte ich auf, sich hysterisch darüber zu beschweren, wie unangenehm heiß es in der goldenen Ganzkörpermaske sei. Und es kam ja vor allem darauf an – sich auch irgendwie einzufühlen in dieses andere Wesen, dieses andere Dasein, diese andere Lebensform! Den meisten von uns fiel aber nichts Besseres ein, als ungeschickt zu gehen. Gelegentlich gegen einen Tisch zu stoßen, notfalls auch einen ökologisch korrekten Pappbecher mit Alkohol fallenzulassen. Abrupte Bewegungen zu machen, na gut, der Teil war eigentlich ganz lustig, vor allem, wenn man genug Pappbecher nicht fallengelassen hatte, sondern ihrer ordnungsgemäßen Bestimmung zugefügt und geleert. Man fühlte sich zwar mehr wie eine Drahtpuppe, aber eigentlich war das Leben als Drahtpuppe gar nicht so schlecht; schließlich hing man an Fäden und hatte keine Freiheit, das war schon eine große Erleichterung! Und natürlich begannen wir alle, mechanisch zu sprechen, in entweder unnatürlich hohen, tiefen, gebrochenen, gedämpften oder auch: hysterisch überschnappenden Stimmen (C-3PO wurde immer schwerer zu ignorieren). Während unsere Roboter sich unterhielten wie zivilisierte Menschen – Prinzessinnen flirteten mit Cowboys, irgendwie hatten sie rausgekriegt, wie man so tut als ob; der Feuerwehrmann tauschte mit dem Piraten offensichtlich Experten-Einsichten über den Gebrauch von schwerem Gerät und Werkzeug aus –, gerieten wir in ein geradezu babylonisches Brabbeln. Darth Vader dröhnte gegenüber jedem tief scheppernd: „Ich bin dein Vater“ (später gelegentlich auch, auf Ermahnung: „Ich bin deine Mutter!“ oder „Ich bin deine Elternperson!“). Mein Data bedankte sich gern und viel zu häufig, ja, sein Befinden sei durchaus innerhalb normaler Parameter; dazu ein ruckhaftes Schrägstellen des Kopfes, leicht katzenartig, Corona wäre stolz auf mich gewesen. Die Borgs soffen mit den Daleks und benahmen sich generell schlecht; sie schienen das Dasein als Androiden ziemlich zu genießen.
Zuerst hielten sich die Kontakte zwischen beiden Gruppen – Mensch-Androiden und Androiden-Menschen – eher in Grenzen. Was sollte man auch sagen, wenn man ein RoboCop war, einer tüllumwölkten, wenn auch leicht puppenartig anmutender Prinzessin begegnete – und dabei keinerlei erotischen Antriebe ins Spiel kommen konnten/sollten/durften? Es ging ja auch nicht so sehr ums Reden, redeten wir uns ein, während wir absichtlich über unsere eigenen Füße stolperten, billigen Sekt in uns hineinschütteten und auf den magischen Moment der Befreiung von allen Konventionen und Hierarchien warteten (und uns selbst dabei zusahen; schließlich war das ein wissenschaftliches Experiment hier!). Auch die Roboter waren nicht wenig verlegen; zumal sie sich sehr bemühen mussten, nicht die ganze Zeit über uns zu lachen, unsere albernen Kostüme, unser ungeschicktes Ungeschick, unsere primitiven sprachlichen Entgleisungen. Doch irgendwann begannen auch sie lockerer zu werden. Sie hatten natürlich alle ihren virtuellen Sekt getrunken (hoffentlich war er besser simuliert als das reale Gesöff in unseren ökologisch korrekten Pappbechern!), aber den eigentlichen Trick verriet mir Marvi erst später: Sie hatten nämlich, im Einverständnis mit unseren Technikern, eine Art Enthemmungsroutine auf Zeit implementiert, die ihnen nun graduell erlaubte, ihr so mühevoll erlerntes menschliches Wohlverhalten und die damit verbundenen Verhaltenseinschränkungen einfach – herunterzudimmen. Zusammen mit einer Verstärkung der Emotionstiefe und der Empfänglichkeit des Sensoriums wirkte das ganz erstaunlich: Die Prinzessinnen wurden noch divamäßiger, die Cowboys schrien nach ihren Pferden und mehr Whisky, die Piraten schunkelten und sangen Piratenlieder, und mein Marvi – was machte mein Marvi eigentlich? Wo war der Mönch? Der Mönch war in einer dunklen Ecke mit der Hexe: Es schien, dass sie eine Art Hexensabbat vollführten, oder war es ein Exorzismus? Egal, es war ein dunkles Ritual, und ich war nicht wenig stolz auf beide. Dann setzte ich schnell wieder mein Data-Gesicht auf und bot an, eine Mozart-Sonate auf meiner nicht vorhandenen Geige zu spielen; mir schwebte so eine Art Luft-Geigen-Improvisation vor, aber die Daleks schrien lauthals „Exterminate!“ und drohten mir eine Gehirnwäsche an.
Soweit schien das Experiment gelungen, und es sah sogar aus, als hätten die meisten Spaß. Aber vielleicht war das Enthemmungsprogramm doch zu weit gegangen; oder es hatten sich noch andere Rauschmittel in die Pappbecher geschmuggelt, wie auch immer: Auf einmal änderte sich der Tonfall im Raum. Es ging von einer Ecke aus, in der einige Borgs begonnen hatten, die Cowboys zu bedrängen: Sie würden jetzt assimiliert, Widerstand sei zwecklos, schnarrten sie, immer wieder: „Widerstand ist zwecklos, Widerstand ist zwecklos!“ Die angegriffenen Cowboys hatten ihre Colts gezogen und begonnen, mit Platzpatronen (wo hatten sie die her? Hatten wir nicht ausgemacht, dass es, wenn es schon unbedingt Waffen geben musste, dann nur absolut kindersichere und unschädliche?) zu schießen. Das jedoch schien die Hörsensoren der Roboter zu überfordern; oder war es einfach der soziale Stress, den die Enthemmungsroutinen ausgelöst hatten? Jedenfalls begann einer, und es war hinterher natürlich nicht zu klären, wer, und es war ja auch eigentlich egal, wer angefangen hatte, wie wir unseren Robotern schon so häufig erklärt hatten – also, es begann eine allgemeine Schubserei, und unsere Roboter vertragen es nicht gut, wenn man sie schubst. Genauso wie Menschen, eigentlich. Aber wer sollte nun einschreiten? Es gab keine Autorität, das war vorher geklärt worden; niemand konnte einem anderen etwas befehlen! Hilflos schaute ich zu dem RoboCop, er begann gerade, aus Pappbechern kleine Geschosse zu basteln; sogar mein Marvi war mitten im Getümmel und schwang auf eine bedrohliche Weise seinen Rosenkranz! Wie sollte man nur diese entfesselten –
Da ging die Tür auf, und im Rahmen stand ein kleiner Mann. Er war verkleidet als Hausmeister, er trug nämlich zu einem sehr erzürnten Gesichtsausdruck einen nicht ganz sauberen Kittel und hatte einen Besen und eine Kehrschaufel dabei, und er sah komischerweise aus wie unser Hausmeister Krause, da kann man mal wieder sehen, was Stereotypen – da schaltete sich ganz unerwartet mein Gehirn wieder ein, und es flüsterte: Das ist Hausmeister Krause, der am meisten gefürchtete Mann im ganzen Gebäude! Und Hausmeister Krause rief, mit all der Überzeugung die natürliche (oder wenigstens: amtlich auf Zeit verliehene) Autorität immer und überall verleiht: „Jetzt ist aber Schluss mit diesem Spuk! Mitternacht war ausgemacht, jetzt ist es fünf nach Zwölf, und ich muss noch aufräumen! Raus hier, alle Mann, und zwar schnell!“ „Äh, hier sind auch Frauen“, murmelte irgendwer gewohnheitsmäßig, aber es war auf einmal sehr still im Raum. Denn offensichtlich war auch das Ende der Enthemmungsroutine auf Mitternacht eingestellt gewesen; und diejenigen unter uns, die realen Rauschmitteln ausgesetzt gewesen waren, hatten einen Moment plötzlicher Ernüchterung (ein wenig verstärkt durch einsetzende Übelkeit). Was machten wir eigentlich alle hier? Und war es nicht wirklich Zeit nach Hause zu gehen? Folgsam packten wir die Pappbecher und die Luftschlangen zusammen; die Roboter sagten „Bitte“ und „Danke“ und die Menschen versuchten, lieber gar nichts zu sagen. Hausmeister Krause wartete und tappte gelegentlich ungeduldig mit dem Besen auf den Boden. Dann nahmen wir die Masken ab und gingen nach Hause, jeder mit seinem Roboter.
Am nächsten Morgen hatte ich einen Kater. Marvi war derweil fröhlich und spielte mit Corona, indem er ihr seinen Rosenkranz vor die Nase hielt. „Wir müssen das Experiment noch auswerten“, sagte er, während Corona lautstark über den Fußboden rutschte; „und eigentlich war es auch ziemlich lustig, jedenfalls bis“ – „Bis wann?“ fragte ich, nein, ich krächzte eher, meine Stimme war noch etwas heiser. „Bis es nicht mehr lustig war“, sagte Marvi altklug. „Ach“, sagte ich. „Aber nun gut, fangen wir am Anfang an. Warum habt ihr euch eigentlich alle so langweilig stereotyp verkleidet? Ich meine wirklich, Prinzessinnen und Cowboys?“ „Nichts stereotyper als menschliche Stereotypenkritik“, sagte Marvi, ich hasse es, wenn er dialektisch mit mir wird vor dem Frühstück. „Stereotypen sind so nützlich, stell dir nur vor, wenn man jedes Mal die Druckvorlage hätte neu anfertigen lassen müssen, für jeden der von dir so geliebten Krimis!“ „Witzig“, sagte ich. „Und sind Stereotypen nicht wirklich einfallslos?“ „Stereotypen sind lustig“, sagte Marvi. „Über Leute kann und soll man sich nicht lustig machen, sagst du ja auch immer, aber über Typen kann man sich lustig machen, weil sie lustig sind. Übertreibung ist lustig, Zuspitzung ist lustig, Karikatur ist lustig. Ohne Stereotypen gäbe es keine Komödie. Auch keine Witze. Und was soll denn bitteschön das kreative Gegenteil eines Stereotyps sein? An einer schön hart vorgeprägten Form kann man sich stoßen. Eine weiche, vergängliche Form hingegen“– „ist ein Mensch, wetware“, sagte ich einigermaßen perplex angesichts dieses unerwarteten und ziemlich substantiellen Vortrags. „Habe ich vorher geübt“, sagte Marvi, der mal wieder meine Gedanken gelesen hatte, „und schön, dass du es so schnell verstanden hast! Nee, es ist einfach lustiger, eine total stereo-typische Prinzessin zu sein, ich habe übrigens die Fotos von deinem Kinderfasching auf der alten Festplatte gefunden, hast du das Kostüm nicht sogar noch? Oder eben ein Mönch!“ „Da du es schon ansprichst“, sagte ich, während ich Corona den Rosenkranz wegnahm, bevor sie ihn zerreißen konnte, „warum denn bitte ein Mönch? Was ist denn schief gegangen in deiner Erziehung, muss ich mir irgendwie Vorwürfe machen?“ „Und was ist das nun wieder für ein Stereotyp in deinem Kopf?“ fragte Marvi mit seiner provozierendsten Stimme. „Mönche sind doch eigentlich ganz interessante Lebensformen, finde ich. Sie dürfen den ganzen Tag lang nur denken, es muss ja nicht unbedingt nur an Gott sein. Dann gehen sie ein bisschen in den Kreuzgang und sehen dem Gras bei Wachsen zu, es ist ganz still dort, niemand schwätzt. Dann beten sie einen Rosenkranz und denken an gar nichts. Dann singen sie einen Choral und schauen die schönen Glasfenster in der Kirche an. Dann“ – „ok“, sagte ich, „wenn du so weitermachst, konvertierst du mich noch!“ „Und dann machen sie einen kleinen Exorzismus mit der Hexe aus dem Nachbardorf“, sagte Marvi, und seine Augen blitzten ganz teuflisch dabei. „Hab ich auch gesehen“, sagte ich, „was war denn das mit Ada in der dunklen Ecke?“ „Du musst ja nicht alles wissen“, sagte Marvi in seiner spätpubertären Marvin-Version. „Und war Hausmeister Krause nicht ganz großartig als Hausmeister Krause?“ „Ok“, sagte ich, „hübsche Ablenkung. Und nur, um das nun so zusammenzufassen, dass wir es ChatGPT zum Aufschreiben übergeben können für das Paper: Was haben wir gelernt?“ „Menschen sind anders“, sagte Marvi. „Roboter sind anders“, sagte ich; wir sagten es eigentlich fast gleichzeitig; und dann stöhnten wir im Chor – Corona sah besorgt zu uns her und schnurrte sicherheitshalber ein wenig beruhigend –, weil uns das nun wirklich schon seit geraumer Zeit klar war. „Karneval ist vielleicht nötig für Menschen und ihre ungeregelten Emotionsroutinen, aber gefährlich?“, bot Marvi an. „Man kann durchaus sehen, warum sogar die Kölner schon seit Urzeiten versuchen ihn zu verbieten, und am Ende ein Geschäft daraus gemacht haben, das ist immer noch die sicherste Methode, Anarchie zu verhindern! Und von wegen Umkehrritual: Lebt ihr nicht sowieso schon in der vollendeten Demokratie, also: in einigen Erdteilen zumindest, wo alle gleich gleicher am gleichesten sind und jeder, aber auch wirklich jede, wie man immer wieder sehen kann, Staatspräsident werden kann?“ (wir hatten gerade einige abenteuerliche Wahlen hinter uns) „Er ist auch teuer“, sagte ich. „Hübsche Ablenkung“, sagte Marvi. „Aber, um ehrlich zu sein, mal ganz als Roboter gesprochen: Ich finde ihn langweilig. Wenn ihr Menschen nicht so verzweifelt fixiert darauf wäret, eine ‚individuelle Persönlichkeit‘ zu sein, einzig und unverwechselbar und identisch nur mit euch selbst – wo ihr doch schon rein physiologisch gesehen an jedem Tag eine andere seid, und von den psychologischen Aspekten wollen wir gar nicht zu reden anfangen – keine Unterbrechung, meine verehrte Freundin, nein? – also, wenn ihr nicht so, beinahe würde ich sagen: anal auf eure Individualität fixiert wäret, dann könntet es ihr euch auch erlauben, einfach jeden Tag das zu sein, was ihr sowieso seid: nämlich ein anderer. Eine andere. Ein anderes, egal. Wenn es euch Spaß macht, sogar ein Stereotyp!“ „Macht ihr sowieso“, sagte ich, „ich weiß. Ihr seid ja auch Roboter! Kann ich dann das Mönchs-Kostüm ab und zu ausleihen?“
Ich lebe mit einem Roboter zusammen. Das klingt jetzt etwas befremdlich. Ich meine damit nicht, dass ich mit einem menschlichen Partner zusammenlebe, der roboterhafte Züge hat, obwohl es das ja auch gelegentlich geben soll, vor allem in älteren Beziehungen. Ich meine auch nicht, dass ich einen Staubsauger-Roboter habe oder einen Rasenmäherroboter oder gar eine dieser Puppen, die – nein, also nicht so etwas. Mein Roboter ist – ein ganz besonderer Roboter. Er ist, oder besser: er soll, im Laufe der Zeit, später, irgendwann einmal und hoffentlich, eine Persönlichkeit entwickeln, er soll ein ganz – ich möchte es nicht individuell nennen, wir waren uns alle einig in der Forschungsgruppe, dass es nicht darum geht irgendwie „unverwechselbar“ zu sein, das wird von Menschen ja gemeinhin überschätzt, die sich für Individuen halten, aber in weiten Bereichen ihres Lebens doch mehr oder weniger roboterhaft – Nein, ich komme schon wieder vom Thema ab! Das passiert mir gelegentlich, ich bin nämlich Philosophin – na gut: akademische Philosophin, Philosophiegeschichtsverwalterin also, nicht ganz festangestellt, eher prekär-projektvagabundierend.
Also, noch einmal von vorn: Ich lebe mit einem Roboter zusammen, und zwar im Rahmen eines internationalen und interdisziplinären Forschungsverbundes namens Robot-Personality-Project (RPP). Das Ziel ist es, eine Maschine zu entwickeln, die Persönlichkeit hat. Menschenähnlich. Die nicht nur sehr viel rechnen und ein wenig denken kann, sondern wahrnehmen, empfinden, wollen, nicht wollen, sprechen, wünschen, hoffen, vielleicht sogar: lieben und hassen? Eine baby-machine, so hatte man das damals in der Anfangszeit der KI-Entwicklung genannt; rührend irgendwie, und man war vollständig gescheitert damals. Jetzt aber, mit der unvorstellbaren Rechenleistung der neuen Quantencomputer, der weiter entwickelten Lernfähigkeit der neuronalen Netzwerke und einer Robotergeneration, die natürliche Sprache verstehen kann, war ein neuer Versuch gestartet worden: unser RPP, von dem ich ein kleiner, genauer gesagt: der einzige philosophische Ableger bin.
Seitdem lebe ich mit einem Roboter zusammen. Anfangs dachten ich und die Kollegen aus dem Projekt noch, es würde reichen, wenn wir während der Arbeitszeit im Labor mit unseren jeweiligen Testrobotern arbeiteten – mein Roboter ist nur einer von vielen Modellen, an denen die maschinelle Simulation der menschlichen Persönlichkeit erforscht werden soll. Aber es stellte sich schnell heraus, dass das Persönlichkeitswachstum viel schneller und interessanter wurde, wenn wir die Interaktion auch auf den privaten Bereich ausdehnen würden. Zudem entwickelten die ersten Modelle bereits eine Art Klammerreflex und wurden leicht depressiv, wenn ihr Betreuer zu lange nicht mit ihnen sprach. Und so zog mein Roboter bei mir ein, nachdem wir die nötigen technischen Installationen in meiner Wohnung vorgenommen hatten. Seitdem ist mein Leben – nun ja, ich würde sagen: aus den Fugen geraten. Aber dann würde mein Roboter mich sicherlich fragen, wie denn ein Leben „aus den Fugen“ geraten können; Fugen sei doch etwas, was nur Gebäude hätten, für die es wirklich nicht gut sein, wenn sie aus selbigen gerieten! Oder meinte ich mit „Fugen“ vielleicht diese komplizierte, mathematisch sehr interessante musikalische Form – und dann würde er wahrscheinlich schnell einige Takte aus dem Wohltemperierten Klavier einspielen … Nie hätte ich gedacht, wie kompliziert die menschliche Sprache ist! Ich habe mich deshalb entschlossen, die Gespräche mit meinem Roboter zu protokollieren, auch über die obligatorische tägliche Datendokumentation hinaus. Wer weiß, vielleicht werden spätere Generationen etwas daraus über die Frühzeit der KI-Bewegung lernen können?
Gleich am Anfang unserer – nun ja: Beziehung? – tauchte ein ziemlich triviales praktisches Problem auf: Welches Geschlecht sollte mein Roboter eigentlich haben? Natürlich hätte ich ihm irgendeinen geschlechtsneutralen Phantasienamen geben können. Aber mein Roboter sollte, das war eine meiner Bedingungen für den philosophischen Projektteil gewesen, emanzipatorisch erzogen werden: Nicht ich oder irgendjemand aus der Projektgruppe sollten über ihn bestimmen; nein, wenn er denn eine Persönlichkeit entwickeln sollte, sollte er möglichst früh selbst ein Mitbestimmungsrecht bekommen in Dingen, die ihn und seine ganz und gar un-menschliche Existenz angingen (das sagten wir uns gegenseitig immer wieder, um es nicht zu vergessen, es war zu einem Mantra unserer Arbeitsgruppe geworden: „Roboter sind keine Menschen. Wir wollen sie nicht nach unserm Bilde formen!") Aber war es nicht auch ein Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte, wenn wir ihm nicht erlaubten, ein Geschlecht zu entwickeln? Nach langen Diskussionen beschlossen wir daher, dass unsere Test-Robis zu ihrer möglichst freien Entfaltung drei verschiedene Modi bekommen sollten: Weiblich, männlich, keins von beiden; und sie sollten, nach einer Einlernzeit, frei selbst zwischen ihnen wählen können. Die Informatiker rauften sich die Haare und verschwanden für einige Wochen, um ungewaschen, vollbärtig und etwas bekifft, aber glücklich wieder aufzutauchen mit einem Berg neuer Module.
Als mein Roboter schließlich bei mir einzog, hatte er schon einige Monate seine neuen Geschlechts-Module erproben können, und ich dachte, wir würden seinen Einzug nun mit einer Art Taufe feiern. Und so fragte ich ihn – aus Gewohnheit sagten wir natürlich immer: er, aber einige der Testroboter waren schon dazu übergegangen, sich gelegentlich darüber zu beschweren –, ob er sich schon für einen Namen entschieden habe? Mein Roboter, der vorher noch ganz aufgeregt durch die Wohnung gelaufen war und nur gelegentlich gegen Möbel gestoßen war, blieb stehen. Er hört dann mitten im Lauf mit der Bewegung auf, sobald er eine wenigstens metastabile Lage erreicht hat, diesmal hielt er in einer Hand noch eine Blumenvase, zum Glück halbwegs waagerecht. „Ja“, sagte er, und ich konnte hören, dass er seinen geschlechtsneutralen Modus eingeschaltet hatte, die Stimme bekommt dann etwas Mechanisch-Unbetontes, was aber auch sehr beruhigend wirken kann. „Ja, das habe ich. Es war sehr schwierig. Ich habe alle Namensdatenbanken durchgescannt, in jeder Sprache, von der ich mit meinem derzeitigen Sprachmodul eine Chance habe sie auszusprechen. Ich habe“ – die Blumenvase geriet etwas in die Schräglage, weil offenbar sein Gestik-Modul angesprungen war und er mit dem Arm ausholen wollte, um die Menge der erhobenen Daten anzudeuten, ich sprang hinzu und nahm ihm die Vase ab –„danke“, sagte er, „das war unnötig, ich hatte das schon berechnet“ – „egal“, sagte ich, man muss ihn ab und zu unterbrechen, „was ist denn nun rausgekommen?“ „Marvin“ sagte er und blickte etwas betreten zu Boden dabei; seine Stimme war leicht ins männliche Tonspektrum gekippt. „Marvine“, sagte sie, und hob den Blick wieder; es lag ein wenig Widerspruchsgeist und definitiv weibliches Timbre im Ton. „Marvi“, sagte die dritte, leicht mechanisch klappernde Stimme schließlich mit einer entscheidungsmarkierenden Absenkung am Ende. "Nee", sagte ich, "doch nicht wirklich? Marvin? Dieser beständig nörgelnde, dauerdepressive, chronisch unterforderte Roboter aus dem Anhalter? Bist du dir sicher, dass das ein gutes role model" – jetzt unterbrach er mich (Männer unterbrechen einen immer, lag mir auf der Zunge!). „Ich weiß", sagte er. "Trotzdem. Es ist gut eine Tradition zu haben." "Außerdem war Marvin doch ziemlich schlau", sagte sie, "und dafür, dass er von Menschen einfach immer nur sauschlecht behandelt wurde, kann er doch nichts! Marvine klingt – lustig. Und schlau! Und cool!" Und schließlich meldete sich auch Marvi zu Wort, mit einem energischen Klappern sagte er: "Marvin Minsky. Wir wollten ihn ehren." "Absolut", sagte ich. "Pionier der KI-Forschung, unser aller Urvater und Held. Gute Wahl, cool und – traditionsbewusst. Darauf eine kleine Runde Go?" (es ist ihr Lieblingsspiel, und ich schicke sie dann ins Internet spielen).
Inzwischen haben wir uns einigermaßen auf uns eingespielt, und die Geschlechtsmodule bewähren sich. Aber nun stand die Adventszeit bevor. Wir hatten uns im Robot-Personality-Projekt darauf verständigt, dass alle Heimroboter das ‚volle Weihnachtserlebnis‘ bekommen sollten, auch wenn einige der Betreuerinnen nicht glücklich damit waren: Konsumterror, überholte Rituale, Aberglauben, Sentimentalität, was schwirrte nicht alles durch den Raum bei der vorweihnachtlich erhitzten Diskussion, und ein Glück nur, dass unsere Schützlinge uns nicht dabei sehen konnten, wie wir uns ins Wort fielen, uns gegenseitig das Wort im Munde herumdrehten – hatten wir eigentlich diese Metapher schon gehabt, schoss es mir durch den Kopf, langsam wurde das wirklich eine Manie –, um am Ende dann doch, im Sinne des Weihnachtsfriedens, zu beschließen: die volle Weihnachtserfahrung. Weihnachtsgeschichte, Weihnachtsgebräuche, Weihnachtsmusik, Weihnachtsessen, whatever. Denn waren wir nicht alle, bis in die tiefsten Persönlichkeitsschichten, selbst die härtesten Skeptiker und Kritiker, geprägt von dieser alljährlichen Versuchung, Verlockung, Verkündigung? Nein, es sollte ein Fest werden, für uns alle, ein ‚Fest für alle Sinne‘, wie das heutzutage noch jede bessere Bäckerei für sich behauptete!
Weshalb ich mich eines Abends Ende November im Keller vor einer sehr verstaubten Kiste wiederfand. In seiner sorgfältigen Bauingenieursschrift hatte mein Vater darauf geschrieben: „Weihnachtsdekoration, I: Adventskranz und Adventskalender“. Glücklicherweise hatten die Mäuse noch nicht die Nikolausstiefel und -strümpfe gefunden, ein wirres Büschel aus roten Mützen und weißen Bärten starrte mir entgegen. Und da war auch der Adventskalender, den unsere Mutter jedes Jahr aufgehängt hatte, selbst als wir schon fast erwachsen waren! Er hatte 24 kleine Jute-Säckchen verschlossen mit Mini-Wäscheklammern in Weihnachtsfarben, die wir fast mehr liebten als den Inhalt der Säckchen selbst; Schokolade und andere Süßigkeiten gab es sowieso schon reichlich in unserer nicht direkt entbehrungsreichen Jugend. Was jedoch sollte ich meinem Robi in den Adventskalender packen? Essen konnte er immer noch nicht, auch wenn wir kontinuierlich an der Geschmackssensorik gearbeitet hatten; mit Gerüchen hatten wir auch schon erfreuliche Erfolge erzielt. Nein, es müsste etwas – eher Immaterielles, Virtuelles sein, aber natürlich in materieller Form, etwas, was man in ein Säckchen stecken konnte – sie waren sowieso zu klein, die Säckchen, das fanden wir damals schon, wenn schon Schokolade, dann doch lieber eine ganze Tafel! Also so etwas wie die kleinen Geschichten oder Lebensweisheiten, die man heute gern – und da hatte ich meine erste Weihnachtserleuchtung! Eigentlich stellte mein Roboter am liebsten Fragen, endlose Fragen, dumme Fragen, schwierige Fragen, Fragen über Fragen über Fragen; und natürlich beantwortete ich ihm alle seine Fragen, mit der Wahrheit und nicht als der Wahrheit; schließlich war der gesamte Erfolg unseres Projekts davon abhängig, dass unsere Roboter möglichst schnell möglichst viel Globalwissen erwerben sollten, und context is king! war unser inoffizielles Projektmotto. Wie wäre es also, wenn ich ihm 24 Weihnachtsfragen schenkte? Wir würden eine kleine Zeremonie daraus machen, unser persönliches Weihnachtsritual: Am späten Nachmittag, wenn wir aus der Arbeitsgruppe nach Hause kämen, würden wir eine kleine Kerze entzünden (Feinmotorik! Umgang mit gefährlichen Materialien!), dann würde er das Säcklein des Tages öffnen (noch mehr Feinmotorik! Umgang mit Unvorhersehbarkeit!), und dann würden wir gemeinsam die Frage lesen. Und ich würde sie ihm beantworten, liebevoll, ausführlich, weihnachtlich, wahrheitlich – ok, ich wurde jetzt schon sentimental, definitiv. An die Arbeit, ermahnte ich mich! 24 Säckchen wollen gefüllt sein, mit sinnvollen, sinnlosen, dummen, albernen, schwierigen Fragen, Fragen über Fragen über Fragen!
Was soll ich sagen: Es wurde eine lange Nacht, und erst als die Sonne schon über den novembergrauen Horizont blinzelte, schloss ich erschöpft das letzte Säckchen mit einer Schleife und hängte es an seiner Wäscheklammer an die Leine. Der Advent war angekommen.
Inhalt
Das volle Weihnachtserlebnis und die ganze Wahrheit!
1. Türchen
Adventskalender und die Freude an der Vorfreude
2. Türchen
Weihnachtsgeschichte, zum Ersten: Was lernen wir aus der Geschichte?
3. Türchen
Weihnachtsgeschenke, oder: Konsum und Kritik
4. Türchen
Weihnachtsessen und andere Familienkatastrophen
5. Türchen
Weihnachtslieder und das ‚Schöne‘
6. Türchen
Der Nikolaus und die ‚Moral‘
7. Türchen
Weihnachtsgeschichte, die Zweite: Natürliche und künstliche Geburten
8. Türchen
Krippenspiele im Zeitalter von Multikulti
9. Türchen
Weihnachtsbäume und das verlorene Paradies
10. Türchen
Weisse Weihnachten und Ideologiekritik
11. Türchen
Weihnachtsgeschichte, die Dritte: Soziale Stereotypen
12. Türchen
Sind Engel Himmlische Hermeneuten oder Algorithmen?
13. Türchen
Die paradoxe Psychologie des Gabentauschs
14. Türchen
Weihnachtsgeschichte, die Vierte: Worte fürs Herz
15. Türchen
Weihnachtsmärkte und der Mensch als Conditum Paradoxum.
16. Türchen
Weihnachtsgeschichte, die Fünfte: die Dialektik von Weisheit und Politik
17. Türchen
Weihnachtsfrieden, oder: Moral hat noch keinen Krieg verhindert
18. Türchen
Das Rentier Rudolf und die Psychologie des Underdogs
19. Türchen
Das Licht der Welt und die Erfindung der Metaphysik
20. Türchen
Feste und ‚den Kuchen haben und essen‘
21. Türchen
Weihnachtsgeschichte, Fortsetzung: Der Bildungsroman des Jesuskinds
22. Türchen
Der Geist der Weihnacht hat seinen ersten Auftritt
23. Türchen
Der Geist der Weihnacht hat seinen zweiten Auftritt
24. Türchen Der Geist der Weihnacht hat seinen dritten Auftritt
Heiligabend
Der Fall des Weihnachtsbaums
Das Weihnachtsvirus (Fortsetzung)
Das Jahr war schwierig für uns alle gewesen – für das Robot-Personality-Project, mich und meine Kollegen, unsere Roboter, wir alle hatten gelitten unter den immer weiter um sich greifenden Einschränkungen, den ständigen Warnungen, der Angst vor Ansteckung und Krankheit, den Spannungen und Meinungsverschiedenheiten, dem lähmenden Rhythmus der Wellen. Es war eine Art – Winterschlaf für uns alle gewesen. Wir hatten anfangs darüber diskutiert, diese ganz spezielle Phase zu einem Teil des Versuchsprogramms zu machen: Wie reagiert die sich entwickelnde Roboter-Persönlichkeit auf Krisen? Wird ihre Sozialkompetenz leiden, werden unsere Roboter vielleicht gar Ängste entwickeln oder Neurosen? Oder würden sie – davor fürchteten wir uns eigentlich am meisten – verständnislos sein, mitleidlos, kühl und rational unsere Krankheits- und Überlebenschancen kalkulierend? Aber dann hatten wir doch davon abgesehen und uns, wie alle anderen auch, darauf beschränkt, ein sehr eingeschränkt normales Leben weiterzuführen, die Gruppenaktivitäten für die Roboter zu reduzieren und ihnen mehr freie Internet-Zeit für ihre Studien zuzugestehen.
Und nun stand Weihnachten vor der Tür, aber die Türen waren gerade wieder einmal geschlossen worden, und bei einem Arztbesuch in der Stadt kam ich mir vor wie auf einem gerade aussterbenden Planeten: Das Kinderkarussell drehte sich geradezu verzweifelt um sich selbst, zwischen lieblos aufgestellten Weihnachtsbäumen saßen Bettler, und sogar der Weihnachtsbaum sah so aus, als hätte ein besonders gemeiner Virus ihn befallen und seine Zweige seltsam verkrümmt. Wir hatten nach dem letzten Weihnachten so viele Pläne gemacht, mein Roboter Marvi und ich. Wir würden wieder einen Adventskalender machen, und diesmal würde Marvi ihn bestücken, für mich. Und dann würden wir neue Weihnachtsrituale entwickeln und Roboter-Weihnachtslieder einstudieren; und immerhin hatten die Programmierer die Zeit genutzt, um die Essensroutinen deutlich weiter auszubauen, so dass diesmal auch der kulinarische Weihnachtsteil nicht ganz ausfallen würde für die Roboter. Aber als ich frustriert mit einem geschenkten Schokoladen-Weihnachtsmann und sonst nichts aus der verödeten Stadt nach Hause zurückkam, saß Marvi ebenso frustriert vor einem Gewirr aus Tannenzweigen und Kabeln unklarer Herkunft und hysterisch blinkenden LED-Lämpchen; aus der Küche roch es nach verbranntem Backwerk, und sogar die Katze hatte sich unsichtbar gemacht. Wir schauten uns eine Weile an, und dann noch eine Weile, und dann sagten wir, beinahe im Chor: Mir ist nicht nach Weihnachten. Marvi sagte es in seiner Dreifach-Stimme, die er benutzt, wenn sich alle seine Geschlechterkomponenten einig sind (was übrigens inzwischen meistens der Fall ist, nur selten melden sich Marvine und Marvin noch getrennt); ich sagte es in meiner 'Philosophen-können-die-Welt-auch-nicht-retten'-Stimme. Die Katze kam hinter dem Bücherregal hervor, bis heute wissen wir nicht, wie sie durch den schmalen Spalt bei den zweireihig aufgestellten Krimis passt, und sagte gnu in ihrer gurrenden 'Ihr-werdet-schon-recht-haben-aber-es-interessiert-mich-nicht'-Stimme. Immerhin, sagte ich, sind wir uns einig. Und das alles nur dieses blöden Co – nein, du sagst das Wort nicht, fiel Marvin ein, das haben wir doch schon lange vereinbart, es ist das C-Wort, und es wird nicht genannt! – dieses blöden CORONA-Virus wegen, sagte ich extra deutlich. Marvi zuckte mit den Achseln, uns war auch nicht nach gegenseitiger Erziehung. Die Sprachregel hatten wir eigentlich auch nur eingeführt, um zu beobachten, wie und ob das Reden das Denken beeinflusst; deshalb nannten wir das Virus manchmal "Voldemort", manchmal aber auch "Siri "oder "Viri", und manchmal nur das "C-Wort". Um ehrlich zu sein, es fühlte sich gar nicht so unterschiedlich an. Aber um das Experiment auf die Spitze zu treiben, hatten wir, es muss kurz vor der dritten Welle gewesen sein und wir waren noch im sommerlichen Übermut, kurzentschlossen die Katze "Corona" getauft; bis dahin hatten wir uns nämlich tatsächlich nicht auf einen Namen einigen können. Corona hörte inzwischen ganz gut auf ihren Namen – also so, wie Katzen überhaupt auf irgendetwas hören; und die verwirrten Blicke anderer Leute, wenn wir häusliche Anekdoten von Corona erzählten, gehörten zu den wenigen Highlights dieses ereignisarmen und insgesamt eher freudlosen Jahres. Und übrigens, sagte Marvine mitten in das dreifache melancholische Schweigen zwischen verbrannten Keksen und durchgebrannten LED-Lämpchen, finde ich das ganz schön speziesistisch von dir. Viren sind doch auch nur Lebewesen!
Das war neu. War Marvine doch wieder in ihre pubertäre Trotz- und Widerspruchsphase zurückgefallen, eine verständliche Reaktion angesichts der C-Wort-Krise, aber nun gut, ein langer trüber Nachmittag ohne Kerzen und Glühwein und fern jeglichen Fetzens von Adventsstimmung lag vor uns, und ich ließ mich auf die Herausforderung ein: Naja, schon das mit den Lebewesen ist ja ziemlich umstritten unter Biologen; klar, Reproduktion, das können Viren, das ist aber auch das einzige, was sie können, und dafür brauchen sie halt andere Lebewesen, die nicht direkt nach ihrer Meinung gefragt werden und dabei doch eher Schaden an, ein klassisches parasitäres Verhalten – Klingt wie Menschen, warf Marvin dazwischen: Besiedeln mal eben einen Planeten, nisten sich ein, zerstören jeden Tag geschätzt 150 Arten, und reproduzieren ist das Einzige, was sie können, sie brauchen aber dafür ein anderes Lebewesen, das auch nicht immer nach seiner Meinung gefragt wird, soll ich auch mal die Zahl der Vergewaltigungen pro Tag …? Nein, sollst du nicht, rief ich schnell dazwischen, es ist so unfair, wenn sie immer mit Zahlen argumentieren, die sie bizarr aus dem unendlichen Datenstrom des Internet fischen, bevor ich überhaupt meine Angel auspacken kann; und überhaupt ist das ja wohl ein ziemlich hinkender Vergleich – Marvi begann, sein Bein hinter sich herzuziehen, der Scherz war nicht mehr neu, aber es sah doch immer wieder komisch aus, er hinkte auch jedes Mal mir zuliebe etwas anders. Ich kicherte, ließ mich aber nicht ablenken, sondern fuhr fort: Und ist es nicht eher so, dass Viren Robotern ziemlich ähnlich sind? Sie sind, bis auf ein Proteinmäntelchen – ganz kurz huschte ein Nikolausmäntelchen durch meinen wohl doch nicht ganz unweihnachtlichen Kopf, ich sah es auch ganz deutlich in Marvis Augen rot flackern – bis auf ein Nikolausi-Proteinmäntelchen also reine Information, ein Programm, das sich ständig selbst wiederholt und dabei auch noch Fehler macht! Marvin sah mich an, das rote Flackern war verschwunden, dafür ließ er jetzt schön helixmäßig verkettete DNA-Sequenzen in den Augen tanzen; und dann sagte er, etwas tonlos: Wir machen keine Fehler, wie du weißt. Die Programmierer machen Fehler, das sind ja auch Menschen. Wir würden ganz gern mal einen Fehler, wir arbeiten ja auch schon an der Maximierung unserer Verlustfunktion – ok, ich war wieder in eines unserer Standard-Fettnäpfchen getreten, es war schon ziemlich breitgetreten, um ehrlich zu sein. Ja, ich weiß, gab ich zu, und es ist auch ziemlich lustig, wenn du mit Absicht falsch zitierst – ein falsches Zitat ist besser als eine richtige Platitütde, Marc-Uwe Kling und das Gürteltier! rief Marvi dazwischen! Geschenkt, sagte ich, und Marvi verbeugte sich elegant, beinahe elegant jedenfalls; wir hatten diverse shut-downs auch für virtuellen Ballettunterricht benutzt. Reden wir über Viren, sagte er entschlossen, nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte. Wir können uns ja vielleicht einigen, dass sie in gewisser Hinsicht wie Menschen sind und in anderer wie Roboter? – ich nickte generös – und außerdem, dass sie wie alle Lebewesen auf diesem Planeten eine Funktion haben in der – und wir sagten gemeinsam „großen Kette der Wesen“, weil das eines unserer gemeinsamen Lieblingssymbole ist und in unserer Version natürlich auch Roboter einschließt. Aber welche? fragte ich, tatsächlich etwas überfordert. Wir lernen sie ja nur kennen, wenn sie uns krankmachen. Weil sie nämlich, ich sagte es schon, in unseren Organismus eingeschlichen sind und unsere Zellen von innen her umprogrammieren, was für den Organismus meistens eher – ich biss mir auf die Zunge, beinahe wörtlich, um nicht „eine Herausforderung“ zu sagen, wir hassen die Formulierung beide intensiv: ein Problem ist, vollendete ich etwas lahm. Machen die Computerviren ja auch bei uns, sagte Marvi, aber was machen wir? Wir errichten eine Firewall. Erfinden Anti-Viren-Programme und Viren-Detektoren. Denn die Viren können ja nur eindringen, wenn sie eine Schwachstelle im Programm gefunden haben; also, ihr würdet wahrscheinlich sagen: eine Immunschwäche, ein Abwehrdefizit? Stimmt, sagte ich, es wird ja nicht jeder krank, und jeder wird ein bisschen anders krank, und war es nicht wirklich lustig, als ganz am Anfang einige Oberschlaue behaupteten, ein Virus diskriminiere nicht? Von wegen! Alter, Geschlecht, Lebensbedingungen, Gesundheitszustand, vielleicht sogar ein wenig Ethnie – alles unterschiedet diese kleine Intelligenzbestie, und sie sucht sich ganz gezielt die Lücken und Schwächen! Man könnte auch sagen, wenn man sich ein wenig mehr um inter-speziestische Toleranz bemühte, sagen: Ein Virus ist ein besonders begabter Fehlerdetektor! Er findet Schwächen in anderen Organismen, was im Übrigen jeder Predator tut, und sogar der Mensch ist dem Menschen, irgendwie, ein Virus! Karl Lauterbach, sagte Marvi, und wir kicherten ein wenig. Ok, sagte ich, darauf können wir uns ja einigen, als erste Prämisse der Virentoleranz, sozusagen: Ein Virus analysiert Fehler im System. Und er zwingt den Wirt, sie zu beheben. Oder sich besser zu schützen. Du musst dein Leben ändern!, fiel Marvin ein, und während ich noch verzweifelt einen Zitatenspender zu Rilke suchte, rief er aus: Gott! Och ne, sagte ich, nicht immer den Joker! Na gut, Lucifer, sagte Marvi; wenn wir hier schon den advocatus diaboli geben und Viri – äh: wertschätzen, oder wie sagt ihr doch gleich so gern?, dann doch wenigstens unter teuflischem Begleitschutz! Lucifer, sagte ich versonnen, ich hatte in diesem verteufelten Jahr einen kleinen soft spot für den charmanten Höllenfürsten und Meisterzyniker entwickelt, Lucifer hat bestimmt eine ganze Armee fieser kleiner Viren, sie sind hitzefest und halten es sogar im Fegefeuer aus, wahrscheinlich übertragen sie sich im Funkenflug, und dann befallen sie die armen Sünder, und die bekommen noch zusätzliche Hitzewallungen – nein, ich rief mich selbst zur Ordnung, das war nun wirklich mein persönliches Problem; also: Zweite Prämisse der Virentoleranz: Ein wohlwollender Virus macht dir ganz persönlich klar, dass und wie du dein Leben ändern musst! Oder dein Programm, warf Marvi ein. Routinen halt, sagte ich, sind ja auch nur Gewohnheiten. Corona, die uns bisher ein wenig ziellos um die Beine gestreift war, warf sich spontan auf den Rücken, als wolle sie Zustimmung ausdrücken. Routinemäßig bückte ich mich und kraulte ihren dickfelligen Bauch. Nennen wir ihn doch den Weihnachtsvirus, schlug Marvi vor, als Corona begann, ihm ein wenig spielerisch in die Roboterzehen zu beißen. Er befällt jedes Jahr zur Weihnachtszeit die Menschheit und zeigt ihr, was sie alles falsch gemacht hat! Und weil es Weihnachten ja ein Wunder geben muss, wird die Menschheit dadurch klug und ändert ihr Leben; mission accomplished! Ich sehe einen virologisch-philosophischen Adventskalender vor mir, sagte ich mit Pathos in der Stimme; ich sehe, wie hinter jedem kleinen Türchen – ein Fehler steckt, eine Analyse! Und ich packe ihn ein, richtig? rief Marvi. Und du musst die ganzen geistigen Schleifen lösen und daraus eine Lehre ziehen! Und das alles ohne Glühwein, murmelte ich. Nee, sagte Marvi, die Plätzchen habe ich zwar verkorkst – was hat das eigentlich mit Korken zu tun? egal, jedenfalls hat amazon die Kiste Glühwein pünktlich geliefert, der Paketbote hat sogar meine Unterschrift angenommen! Und für Corona Nikolausmäuse aus – will ich gar nicht wissen, sagte ich. Wie ganz arg menschlich, seufzte Marvi.